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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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verzeihend geneigt gewesen wäre. Aber der Menschen Herzen sind alle wunderlich – und warum sollte da das Herz der alten Frau anders sein? Was sie einem durchtriebenen Frauenzimmer wie der schwarzen Minna zehnmal verzieh, das wollte sie einem jungen Mädchen nicht einmal nachsehen.
    Und der Amanda Backs schon gar nicht! Denn die war frech und schamlos in ihren Worten; alle Männer lachte sie vergnügt an; trug Röcke, so kurz, daß es schon keine Röcke mehr waren; weinte nie über ihre Fehler; bereute nie und sang nie ein frommes Lied, aber sehr laut schreckliche Schlager wie: »Was machst du mit dem Knie, lieber Hans –?« und »Was eine Frau im Frühling träumt …«
    Nein, die Amanda wußte wohl, was ihr in der heutigen Abendandacht bevorstand! Daß ihr aber grade die schwarze Minna als Aufsicht beigegeben war, das empörte sie besonders, und sie erwog einen Augenblick ernstlich, die beiden inden Hühnerstall einzusperren und sich zum Hänseken zu verdrücken – es wäre ein herrlicher Witz gewesen!
    Aber so vorlaut und frech die Amanda auch mit ihrem Mundwerk war, so überlegt und besonnen war sie schließlich in ihren Taten – was eine Geflügelmamsell ja überhaupt sein muß. Denn Geflügel ist das schwierigste Viehzeug von der Welt, zehnmal schwieriger als ein Zirkus voller wilder Tiere, und pariert nur einer besonnenen Natur. Ja, aus dem Fenster Meiers gestern abend, da hatte Amanda in der Rage groß angegeben und hatte der Gnädigen mit Fortzug drohen können – aber am Ende hatte sie doch (der Menschen Herzen sind alle wunderlich) ihr kleines, wulstlippiges Hänseken aufrichtig lieb, und der Garten Eden selbst wäre ihr öde erschienen ohne ihren Negermeier.
    So schlug sie die Tür vom Hühnerstall nicht zu – sie jagte nur die beiden ungeflügelten Hühner hinaus und brachte mit Putt und Schnutt ihr Volk zur Ruhe und zählte die Häupter und fand, daß ihr nicht eines abging. Dann sagte sie ganz unmißverständlich: »So, ihr Hühner, und nun, wo ihr mir so mächtig geholfen habt, will ich euch auch eure Pötte schrubben.«
    »Gott, Mandchen«, stöhnte die dicke Mamsell und krachte mit ihrem Fischbeinkorsett, »wenn man nicht wüßte, daß du bloß Spaß machst …«
    »Und woher weißt du denn das?!« fragte Amanda Backs sehr kriegerisch, und kriegerisch ging sie zwischen den beiden Verstummten, kriegerisch wippte sie in ihrem kurzen Röckchen.
    Denn sie war blutjung, und die bitteren Jahre ihrer Kindheit hatten ihr nichts von dem Lebensappetit und der Frische ihrer Jugend rauben können, und Jungsein machte ihr Spaß, und Krieg machte ihr Spaß, und Liebe machte ihr Spaß – und wenn die Gnädige sich einbildete, sie könnte ihr mit Singen und Beten diesen Spaß austreiben – so hatte da ein Uhl gesessen!
    Solche Gedanken wie die Amandas mögen ganz gut über das Schrubben auch des verrußtesten Topfes hinweghelfen,für eine Abendandacht im Neuloher Schloß waren sie nicht richtig. Da saßen sie nun schon eine ganze Weile, die gewohnte Schar, eine recht stattliche Schar. Denn die Gnädige hielt nicht nur darauf, daß alle, die bei ihr in Lohn und Brot standen, mit Kind und Kegel zu diesen Andachten kamen, sondern auch jeder aus dem Dorf, der im Winter mal ein paar Meter Holz umsonst haben, der im Sommer in der Teschowschen Forst Beeren und Pilze sammeln wollte, mußte sich an manchem Abend das Anrecht darauf ersitzen. Der alte Pastor Lehnich hatte am Sonntag oft nicht so viel Pfarrkinder in der Kirche wie die gnädige Frau Abend für Abend in ihrem Betsaal.
    »Und du, Amanda?« hatte Frau von Teschow gefragt, und Amanda war aus ihren sündigen Gedanken hochgefahren, hatte um sich gestarrt und von nichts was gewußt. Die Gänschen auf der hinteren Bank, die Vierzehn-, Fünfzehnjährigen, die über alles lachten, hatten natürlich gleich zu gniggern angefangen. Die Gnädige aber hatte ganz milde noch einmal gefragt: »Und dein Vers, Amanda?«
    Ach ja, sie machten »Reihum-Singen«! Dabei hatte jeder einen Vers aus dem Gesangbuch zu nennen, den sie dann alle gemeinsam sangen. Das ging oft wild durcheinander mit Abendliedern, Sterbeliedern, Lobliedern, Buß- und Kreuzliedern, Jesusliedern und Taufliedern. Es machte aber allen meistens Spaß und brachte Fahrt in die verschlafene Abendlangeweile. Selbst die gnädige Frau bekam rote Bäckchen an ihrem Harmonium, so rasch mußte sie in ihrem Notenbuch umblättern und so flink von einer Melodie in die andere springen.
    »Befiehl du deine Wege …«,

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