Wolf unter Wölfen
Belinde ihn auf der Treppe sprechen hört, kommt sie womöglich dazu und fragt, wohin er noch will, und bietet ihm ihre Begleitung an – nee, lieber nicht.
Er tritt also allein hinaus in den Park, der schon ziemlich dunkel ist, gerade recht für sein Vorhaben. Er weiß natürlich genau, wo die Gänse seiner Frau immer ein Loch im Zaunsuchen, er hat es ja erst vorgestern auf ihre Bitte hin zumachen lassen. Was man zumachen kann, kann man auch wieder aufmachen, denkt er und rüttelt bedächtig an den Latten. Er muß schließlich doch eine lockere finden, die er mit den Händen abreißen kann.
Während er so beschäftigt ist, hat er plötzlich das Gefühl, als sähe ihm jemand zu. Rasch dreht er sich um, und wirklich steht da neben dem Gebüsch so etwas wie ein menschlicher Schatten. Die kugligen großen Augen des alten Herrn sehen noch recht gut, selbst jetzt im Schummern – »Amanda!« ruft er.
Aber nichts antwortet, und wie er genauer hinsieht, ist es überhaupt kein menschlicher Schatten, sondern nur der Rhododendron und der Jasmin dahinter. Na, laß – und wenn sie’s wirklich gewesen ist – ihr kann es gleich sein und ihr muß es gleich sein, er hat natürlich nur nachgesehen, ob die Latten festsitzen. Er verzichtet aber für diesen Abend auf das Lockern und macht sich auf den Weg zur Bude vom Negermeier.
Ins Beamtenhaus hinein geht er nun freilich lieber nicht – im Gegensatz zu seiner Frau hat der alte Geheimrat nicht die geringste Neigung, Dinge zu sehen, die wider die guten Sitten verstoßen. Er nimmt bloß den Stock und klopft gegen das offenstehende Fenster.
»He! Herr Meier – stecken Sie Ihre verehrte Birne mal durch die Gardinen!« ruft er.
6
Geflügelmamsell Amanda Backs hätte sich gerne, wie so manches Mal schon, von dem Besuch dieser Abendandacht gedrückt – wenn sonst aus den mehr allgemeinen Gründen der Langeweile und des Wasanderesvorhabens, so diesmal, weil sie sich sehr genau denken konnte, wohin die Gnädige mit ihren Buß- und Betgedanken zielen würde. Aber diedicke Mamsell und die schwarze Minna ließen Amanda nicht aus den Augen.
»Komm, Manding, jetzt helfen wir dir schnell noch die Hühner durchzählen, und dann hilfst du uns die Pötte scheuern!«
»Ich versteh immer Bahnhof«, sagte Amanda mit der beliebtesten Redensart der Zeit, und das meinte genau das gleiche, was ihre Mutter mit »Nachtigall, ich hör dir trapsen!« gemeint hatte.
Aber die beiden gingen einfach mit, todsicher hatte ihnen die Gnädige schon einen Vers vorgepfiffen.
»Immer dieselben!« schalt Amanda Backs die paar verspäteten Hühner, die eilfertig, unter aufgeregtem Gegacker, von der Wiese dem Hühnerhaus zustrebten. »Aber ich mach euch noch mal den Schlag vor der Nase zu, und dann könnt ihr sehen, wie euch der Fuchs gute Nacht sagt! – Und du solltest überhaupt nicht so dämlich tun, Minna! Was die Mamsell angeht, mit ihren netto zwei Zentnern, da wird es mit den Männern ja schon schwierig, und sie kann nichts dafür, wenn sie ewig dasteht wie ein Engel aus Waschseife! Aber du mit deinen sechs Rotzneesen, die mindestens zehn verschiedene Väter haben – –«
»Huch, Mandchen! Sei bloß nicht so gemein!« hatte die schwarze Minna protestiert. »Die gnädige Frau meint es doch wirklich so gut mit uns!«
»Ich versteh immer Bahnhof«, hatte Amanda Backs wiederum gesagt und die Debatte abgebrochen. Denn mit der schwarzen Minna – daß die Gnädige ausgerechnet die ihr zur Aufpasserin bestellt hatte, das war nun wirklich zu lächerlich. Aber man wußte ja, wie kindisch sich die alte Gnädige mit diesem verzottelten, ältlichen Frauenzimmer hatte! Wenn wieder so ein Unfall passierte – und die Gnädige merkte es wirklich immer erst, wenn die Hebamme schon da war, obwohl es doch schon lange vorher bei dem dürren, knochigen Weibsbild für jedes Auge sichtbar war –, dann geriet die Gnädige in hellen Zorn und beschimpfte die schwarzeMinna und verstieß sie für immer und ewig aus ihren Augen und aus dem Neuloher Armenkaten – als gänzlich unverbesserlich.
Dann schrie die schwarze Minna und spektakelte, aber sie lud auch weinend ihr bißchen Kram auf ein Handwägelchen – beileibe aber nicht alles, nur so viel, daß die Gnädige einen schönen Anblick hatte. Vor allem aber ihre sämtlichen Gören. Und so zog dann dieses Weib heulend und Gesangbuchlieder singend durch das Dorf. Und vorm Schloß hielt sie noch einmal an, drückte auf den messingnen Klingelknopf und bat den Diener Elias
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