Wolf unter Wölfen
wesentlich anders lag als der Pagels – physisch eigentlich nur, nicht so sehr psychisch. Aber diese kleine Übertreibung störte ihn nicht.
»Vielleicht können wir Ihnen raten«, fuhr er mit sanfter, aber eindringlicher Überredung fort. »Besser wäre noch, wenn wir Ihnen irgendwie tatkräftig helfen könnten, Pagel«, sagte er sehr eindringlich. »Als wir damals auf Tetelmünde vorgingen, fielen Sie mit dem Maschinengewehr hin. Sie haben sich nicht einen Augenblick besonnen, meine Hilfe anzunehmen. Warum soll in Berlin nicht gelten, was in Kurland galt –?«
»Weil«, sagte Pagel finster, »wir damals für
eine
Sache kämpften. Heute kämpft jeder für sich allein – und gegen alle.«
»Einmal Kamerad, immer Kamerad«, sagte von Studmann. »Sie erinnern sich doch, Pagel?«
»Ja, natürlich«, sagte Pagel. Er senkte das Gesicht, als denke er nach. Die beiden betrachteten ihn abwartend. Dann hob Pagel wieder den Kopf. »Man könnte viel dagegen sagen«, sagte er mit seiner langsamen, mühsamen Aussprache sehr deutlich. »Aber ich mag nicht. Ich bin schrecklich müde. Kann ich Sie irgendwo treffen, morgen früh?«
Mit drei Worten hatten sich die beiden Freunde verständigt. »Wir werden morgen früh kurz nach acht vom Schlesischen Bahnhof abfahren, nach Ostade zu«, sagte von Studmann.
»Gut«, sagte Pagel. »Ich werde dann auch auf der Bahn sein – vielleicht …«
Er sah vor sich hin, als sei alles erledigt. Er stellte keine Fragen, es schien ihn nicht zu interessieren, warum man fuhr, wohin man fuhr, was dann kam.
Der Rittmeister bewegte zweiflerisch die Achseln, unbefriedigt von dieser halben Zusage. Aber Studmann gab nicht nach.
»Das ist etwas, Pagel«, beharrte er. »Aber nicht ganz das, was wir möchten. – Sie haben etwas vor, Pagel, Sie sagten vorhin etwas von Geldloswerden …«
»Weibergeschichten!« murmelte der Rittmeister.
»Es ist gleich zwölf. Zwischen jetzt und morgen früh acht Uhr haben Sie etwas vor, Pagel, dessen Ausgang Ihnen selbstso ungewiß erscheint, daß Sie uns keine feste Zusage geben mögen, daß Sie uns auch nicht dabei haben wollen …«
»Elende Weiber …«, murmelte der Rittmeister.
»Ich bin«, sagte Studmann eiliger, als er merkte, Pagel wollte antworten, »anderer Ansicht als der Rittmeister. Ich glaube nicht, daß irgendeine zweifelhafte Weibergeschichte dahintersteckt. Für so etwas sind Sie nicht der Mann.«
Pagel senkte den Kopf, aber der Rittmeister schnaufte.
»Ich wäre Ihnen dankbar, wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns erlaubten, gerade die nächsten Stunden mit Ihnen zu verbringen.«
»Es ist nichts Besonderes«, sagte Pagel, nun doch bezwungen von der sorgsamen Beharrlichkeit des andern. »Ich möchte nur eine Probe machen.«
Der ehemalige Oberleutnant lächelte. »Eine Frage an das Schicksal, was, Pagel?« sagte er. »Gottesgericht, vom ehemaligen Fahnenjunker Pagel angerufen. – Ach, was sind Sie noch beneidenswert jung!«
»Ich finde mich nicht so beneidenswert!« knurrte Pagel.
»Nein, natürlich nicht, Sie haben ganz recht«, beeilte sich Studmann. »Solange man jung ist, hält man Jugend nur für einen Fehler. – Erst später entdeckt man, daß Jugend ein Glück ist. – Also, wie ist es, kommen wir mit?«
»Sie hindern mich nicht, zu tun, was ich will?«
»Nein, natürlich nicht. Sie sollen handeln, als wären wir nicht dabei.«
»Auch der Herr Rittmeister ist einverstanden?«
Der Rittmeister von Prackwitz murrte nur leise, aber schon diese Zustimmung genügte Pagel.
»Also, meinethalben, kommen Sie mit!« Etwas belebte er sich. »Es wird Sie vielleicht sogar interessieren. Es ist – nun, Sie werden ja sehen. Fahren wir …«
Sie brachen auf.
SIEBENTES KAPITEL
Schwüle Vollmondnacht
1
Amanda Backs stand rasch atmend in den Büschen. Der Geheimrat quäkte mit seiner gequetschten Altersstimme in den höchsten Tönen: »Na, Herr Meier, was haben Sie sich denn für ’ne Stimme zugelegt?! Sie fiepen ja wie ein Weib!«
Negermeiers Kopf fuhr aus dem Fenster. »Das ist bloß, Herr Geheimrat«, sagte er erklärend, »weil ich so aus dem Schlaf hochgefahren bin. Im Schlaf hab ich immer so ’ne hohe Stimme!«
»Mir kann’s ja egal sein«, sprach der Greis. »Die Hauptsache, Ihre Frau glaubt später mal an die hohe Stimme. – Ich hab hier ’nen Brief, Herr Meier.«
»Jawohl, Herr Geheimrat, wird bestens besorgt.«
»Nu warten Sie man bloß, junger Mann! Sie kommen noch früh genug zurück in Ihre Posen! – Den Brief geben
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