Wolf unter Wölfen
bewegt. »Jetzt brauchst du keinen Trost mehr?«
»Ach«, sagte sie und sah ihn verloren-verlegen an. »Du bist doch da …«
»Aber«, drängte er plötzlich, »vielleicht hat Pottmadamm ganz recht, daß ich um halb eins sitze und denke: Trauen tun sie alle Tage – was meinst du?«
»Daß ich trau!« rief sie, hob den Kopf und sah ihn mutig an. »Und wenn ich dir auch nicht trauen würde, ändert das denn was? Ich kann dich nicht binden. Trauung oder nicht – wenn du mich magst, ist alles gut, und wenn du mich nicht magst …« Sie brach ab und lächelte ihn an. »Und nun lauf, Wolf. Der Onkel macht um zwölf Mittagspause, und vielleicht stehen wirklich viele an.« Sie gab ihm den Koffer in die Hand, sie gab ihm noch einen Kuß. »Mach’s gut, Wolf!«
Er hätte ihr gerne noch etwas gesagt, aber es fiel ihm nichts ein. So nahm er den Koffer und ging.
DRITTES KAPITEL
Jäger und Gejagte
1
Auf Rittergut Neulohe ist der kleine Feldinspektor Meier, genannt Negermeier, zwischen der elften und zwölften Vormittagsstunde schon wieder so müde, daß er, wie er ist, in Joppe und Gamaschen, ins Bett fallen und bis zum andern Morgen schlafen könnte. Er sitzt aber nur am Rande eines Roggenschlages, durch ein paar Kiefernkuscheln gut gegen Sicht gedeckt, im langen und trockenen Waldgras und döst so vor sich hin.
Um drei Uhr aufgestanden, in den warmen Dunst des Stalles (so müde, ach, so müde!), Futter ausgegeben, Füttern überwacht, Melken beaufsichtigt, nach dem Putzen gesehen. Ab vier Uhr Raps eingefahren, der im Morgentau eingefahren werden muß, damit er nicht ausfällt. Um drei Viertel sieben eine Tasse Kaffee im Stehen getrunken, hastig was runtergeschlungen (immer noch müde). Und ab sieben das gewohnte Tagewerk.
Dann kam vom Roggenschlag die Nachricht, daß beide Bindemaschinen kaputt seien. Hingejagt mit dem Schmied, rumgeflickt an den Dingern. Nun klappern sie wieder, klappern sie noch – ach, was ist er müde, nun ist er nicht nur noch müde von gestern, nun ist er auch schon müde von heute! Ach, wie gerne würde er jetzt hier, in der Sonne bratend, einschlafen –! Aber er muß vor zwölf noch einmal auf den Zuckerrübenschlag, nachsehen, ob der Leutevogt, der Kowalewski, mit seiner Kolonne auch ordentlich hackt, nicht pfuscht …
Meiers Rad liegt ein paar Schritte um die Kiefernschonung herum im Straßengraben. Aber er ist jetzt zu faul, weiterzufahren, er kann einfach nicht. Wie eine dicke, wollige,ein wenig schmerzende Masse sitzt die Müdigkeit in all seinen Gliedern, besonders aber in der Kehle. Wenn er ganz still liegt, schläft sie gewissermaßen ein. Aber bewegt er nur ein Bein, kratzt und reibt es gleich wie mit Borsten.
Er brennt sich langsam eine Zigarette an, tut wohlig ein paar Züge und starrt dabei auf seine verstaubten, verbrauchten Schuhe. Neue täten auch nötig, jedoch der Rittmeister ist ein großer Mann, fünfhunderttausend Mark sind ein unerhörtes Gehalt für einen Feldinspektor. Warten wir aber nur ab, wie der Dollar zum Ersten kommt, dann können wir uns vielleicht nicht einmal die Schuhe besohlen! Es täte vieles not auf Rittergut Neulohe – zwei Beamte müßten mindestens noch her. Aber der Rittmeister ist ein großer Mann und hat entdeckt, daß er alles alleine machen kann – einen Dreck kann er! Heute ist er nach Berlin, Schnitter holen. So kann er jedenfalls einen armen Inspektor nicht aus seiner Vormittagsdöserei hochjagen. – Aber gespannt bin ich doch, was er für Leute anbringt. Wenn er überhaupt welche bringt. Ach, Scheiße –!
Meier legt sich zurück, die Zigarette rutscht ganz in den Mundwinkel, der Trillerbibi wird gegen den Sonnenbrand über die Augen geschoben … Die Weiber in den Zuckerrüben können sich mit ihrem Kowalewski für seinswegen sauer kochen lassen, eine freche Bande ist das! Aber eine schicke Tochter hat der Kowalewski, traut man ihm gar nicht zu. Die kann ruhig mal wieder auf Urlaub kommen aus Berlin, er würde das Kind schon schaukeln! Warm ist das, heiß ist das, ein Backofen ist das. Wenn bloß kein Gewitter kommt, dann wird das ganze Getreide naß, und er hat die Schweinerei –! Natürlich hätte man heute einfahren müssen, aber der Rittmeister ist ein großer Mann und nebenbei Wetterprophet: Es regnet nicht, wir fahren nicht ein, Sela!
Gottlob, die Bindemaschinen klappern noch, so kann man weiter hier liegen. Bloß nicht einschlafen, dann wird man vor Abend nicht wieder wach. Der Rittmeister erführe es gleich, und morgen
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