Wolf unter Wölfen
Eva, du übertreibst …«
»Nein, leider nicht. So klug ist sie ja nun doch nicht, einmal verrät sie sich. Es ist ja ekelhaft, Achim, wenn man seiner eigenen Tochter nachspionieren muß … Aber dieser rätselhafte Mann, ich bin in einer Todesangst, wenn ihr was passiert ist –?! Ich habe mich nicht bezwingen können, ich bin heimlich auf ihr Zimmer gegangen, ich habe alles abgesucht, ob vielleicht irgendwo ein Brief herumliegt, irgendein Zettel, ein Bild von ihm – Weio ist ja so unordentlich …«
Sie brach ab, mit trockenen, brennenden Augen sah sie vor sich hin. Der Rittmeister stand mit seinem weißen Haar und dem braunen Gesicht am Fenster; er tat, was alle Ehemänner tun, wenn sie über einen Gefühlsausbruch ihrer Ehefrauen verlegen sind: er trommelte leise mit den Fingern gegen die Scheiben.
»Ich habe gedacht, sie hat nichts gemerkt. Ich schämte mich ja auch, ich habe aufgepaßt, daß alles wieder so lag wie vorher … Aber gestern kommt sie ganz leise auf ihr Zimmer, wie ich gerade ihr Album in der Hand habe, ich war richtig verlegen …«
»Und –?« fragte der Rittmeister, nun doch gespannt.
»Und sie sagt ganz krötig zu mir: ›Nein, Mama, ein Tagebuch führe ich auch nicht …‹«
»Aber ich verstehe nicht …«, sagte der Rittmeister verwirrt.
»Ach, Achim, das zeigt mir doch, daß sie genau verstanden hat, wonach ich gesucht habe, daß sie sich über meine Sucherei lustig gemacht hat. Sie war ja richtig stolz auf ihre Schlauheit und Vorsicht! – Und das ist dasselbe Mädchen, Achim, das sich bei dir noch vor drei Wochen nach demStorch erkundigt hat! Du hast es mir selber erzählt! Unerfahren? Abgefeimt ist sie! Verdorben ist sie von dieser verfluchten Zeit!«
Der Rittmeister stand jetzt ganz anders da, gespannt. Das Braun seines Gesichtes sah grau aus, alles Blut war zu seinem Herzen gelaufen. Er machte einen zornigen Schritt zur Klingel. »Der Räder soll kommen!« murmelte er. »Ich schlage dem Bengel alle Knochen im Leibe entzwei, wenn er nicht gesteht …«
Sie trat ihm in den Weg. »Achim!« bat sie. »Nimm dich zusammen! Brülle bitte nicht, schlage nicht – damit verdirbst du alles. Ich werde es schon rausbekommen! Ich sage dir doch, sie haben alle eine Todesangst vor ihm, es ist irgendein Geheimnis, von dem wir noch nichts wissen. Aber ich erfahre es, und dann sollst du handeln …«
Sie drängte ihn gegen einen Stuhl, er setzte sich. Er sagte klagend: »Und ich habe gedacht, sie wäre noch ein Kind …«
»Irgendwie«, sagte sie grübelnd, auch um ihn abzulenken, »irgendwie hängt alles mit dem kleinen Inspektor Meier zusammen. Er muß etwas wissen. Es war sicher sehr klug von Herrn Studmann, ihn so wortlos abzuschieben, aber besser wäre es jetzt, wir wüßten, wo er ist. Von ihm würde man am ehesten etwas erfahren … Du weißt nicht, was Meier vorhatte –?«
»Nein – nichts, er hat gemacht, daß er fortkam, er hatte plötzlich Angst …« Der Rittmeister belebte sich, eine Erinnerung kam ihm. »Aber das ist ja wieder dasselbe, was du sagst … Der Meier hatte ja auch eine Todesangst … Fortgeschickt, sagst du, durch Studmann? – Nein, er hat nicht bleiben wollen. Er hat gebettelt, daß ihn Studmann fortließ, daß er ein bißchen Reisegeld bekam … Studmann hat es ihm dann gegeben …«
»Aber wieso hatte Meier plötzlich solche Angst? Er ist doch mitten in der Nacht fortgelaufen?«
»Mit der Backs! Die Backs hat ihn zur Bahn gebracht! Die Sache ist so gewesen, warte, Studmann hat es mir erzählt,aber es ging in den ersten Tagen alles so durcheinander, ich habe kaum darauf geachtet, und, offen gestanden, ich war froh, daß Meier fort war, ich habe ihn nie ausstehen können …«
»Also in der Nacht …«, half Frau Eva von Prackwitz ein.
»Richtig! Also in der Nacht saßen Pagel und Studmann noch auf dem Büro, sahen sich die Bücher an, Studmann ist ja die Gründlichkeit selbst. Nebenan schlief Meier, hatte am Abend noch mir und Studmann die Kasse übergeben, die war in Ordnung, hatte tadellos gestimmt … Er muß schon geschlafen haben, der Meier … Plötzlich hören die beiden ihn schreien, schrecklich, jämmerlich, in Todesangst schreiend: ›Hilfe! Hilfe! Er bringt mich um!‹ – Sie springen auf, rennen in Meiers Zimmer – der sitzt im Bett, käsebleich, stammelt nur: ›Helfen Sie mir doch, er will mich wieder totschießen …‹ – ›Wer denn?‹ fragt Studmann. – ›Da, am Fenster, ich habe ihn deutlich gehört. Er klopfte, und wenn ich
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