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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Taschen, schlenderte Pagel gemächlich über die Stoppel, den Blick mehr auf den Sternenhimmel als auf seinen Weg gerichtet. Die Schritte der andern waren schon verhallt. Durch die Schuhe fühlte er die feuchte Kühle des Taus, den er von der Stoppel streifte. Zum erstenmal war er froh, nicht mit Herrn von Studmann zusammen sein zu müssen. Schulmeister, Kindermädchen! ging es ihm durchden Kopf und tat ihm doch gleich wieder leid. Er war ein fabelhaft anständiger Kerl, der Herr von Studmann, und sein Pedantentum war nur der Schatten, den seine vollkommene Zuverlässigkeit warf, eine heute fast ausgestorbene Eigenschaft.
    Er allein wird sich’s schwer dadurch machen, dachte Pagel, und er allein wird darunter leiden. Darin bin ich genau sein Gegenteil, ich bin zu lax, ich lasse die Dinge am liebsten laufen. Wenn mir was schiefgeht, so dadurch. Dies ist kein Hotelbetrieb mit in sieben Wassern gewaschenen Oberkellnern, mit durchtriebenen Liftboys – der gute Studmann wird gewaltig umlernen müssen. Ich dagegen – na, jetzt grade wieder …
    Er sah um sich. Grauweißlich schimmernd dehnte sich die Roggenstoppel vor ihm. Der Boden unter seinen Füßen schien sich etwas zu senken, aber das dunkle Sternenlose, was er dort gegen den Himmel sah, war vielleicht der Zuckerrübenschlag.
    Jetzt grade wieder, dachte er weiter. Ich müßte das rauskriegen. Ich, Herr –? Nein, Kowalewski hat sich nicht dumm gestellt. Er hat wirklich nichts davon gewußt. Aber warum soll mich die Sophie beschwindelt haben? Was kann sie für ein Interesse an einem Zuchthauskommando haben, daß sie mich deswegen beschwindelt?! – Nein, dachte er energisch, das ist alles Unsinn. Das wird sicher ganz einfach zusammenhängen. Ich habe wahrhaftig genug an dem dämlichen Liebesbrief in meiner Tasche, ich will mir nicht noch mehr Gedanken machen. Ich will einfach meine Arbeit tun und von nichts wissen. Jetzt die Zuckerrüben …
    Er senkte den Blick, und mit einem Schlage war er anders geworden. Der Rand der hellen Roggenstoppel war nahe gerückt, nur noch fünfzig oder siebzig Schritte trennten ihn von dem Rübenschlag, der dunkel gegen den Sternenhimmel hügelan stieg. Aber so dunkel das Feld auch war, dunklere Punkte sah er sich darauf bewegen, manchmal klang es hell zu ihm herüber, wenn silbern ein Messer gegen einen Steinschlug. Dunklere Punkte – Pagel versuchte sie zu zählen. Sechs oder sieben –? Sechzehn –? Sechsundzwanzig – ach, es konnten über dreißig sein! Ein Heuschreckenschwarm, eine fliegende Plage, nächtlich eingefallen in die Gutsfelder …
    Wenn die Zicke Hunger hat – klang es in ihm. Aber nein, dies war keine hungrige Ziege, kein Idyll, dies war Bandenraub – sie mußten gefaßt werden!
    Pagel greift nach der Gesäßtasche, aber schon im Griff erinnert er sich, daß die Tasche leer ist, er ist ohne Waffe. Immer langsamer gehend, überlegt Pagel, ob er zurücklaufen, die andern rufen soll? Aber er, der die Diebe gegen den dunklen Blattrand erkennen kann, muß längst, sich scharf von der helleren Roggenstoppel abhebend, bemerkt worden sein. Holt er erst Hilfe, sind sie fort! Daß sie ihn so ruhig herankommen lassen, beweist, daß sie ihn für einen von den Ihren halten.
    Oder sie denken, mit einem brauchen wir keine Umstände zu machen, überlegt Pagel. Und so wird es denn wohl auch schiefgehen.
    Aber bei all diesen raschen Erwägungen hat er doch nicht einmal innegehalten. Schritt für Schritt ist er der »Räuberbande« näher gekommen, vielleicht ein wenig langsam, aber nicht die Furcht hat seinen Schritt langsamer gemacht. Nun ist er schon ganz nahe. Sein Fuß verläßt die trocken knirschende Roggenstoppel, feuchtlappig hängt das Rübenblatt über seine Schuhe. Gleich muß er sie anrufen –
    Wenn ich nur ein paar fasse, sechs oder acht, denkt er tröstend – und eine neue Idee kommt ihm. Er reißt die Jacke auf, greift aus der Westentasche das silberne Zigarettenetui, hebt es hoch in der Hand –: »Hände hoch, oder ich schieße!« brüllt er.
    Das Etui schimmert blank im Sternenlicht.
    Wenn sie es nur sehen, denkt er fieberhaft. Wenn sie es nur gleich sehen! Auf den ersten Augenblick kommt alles an. Wenn die nächsten die Hände hochnehmen, machen es ihnen die andern nach.
    »Hände hoch!« schreit er noch einmal, so laut er kann. »Wer die Hände nicht hochnimmt, hat sofort einen Schuß in den Knochen!«
    Eine Frau kreischt weich und leise auf. Eine Männerstimme sagt ganz tief: »Nee, was für Geschichten!«

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