Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
Vom Netzwerk:
geschmissen!«
    Solange sie sich für ihren Lohn ihre Bedürfnisse hatten kaufen können, hatten sie gekauft, nicht gestohlen. Ein paar faule Köppe hatten immer ein bißchen gemaust, aber das waren eben die faulen Köppe gewesen, und sie wurden danach eingeschätzt. Aber nun konnten die Leute nichts mehr kaufen – und dann war der Krieg über sie hingegangen mit Tausenden von Verordnungen, die kein Mensch behalten und halten konnte, mit Zuteilung aller Lebensbedürfnisse auf Karten, mit denen man nur hungern und verhungern konnte. Viele Männer waren im Felde gewesen; dort hat es nicht für eine Schande gegolten, sich zu »besorgen«, was man brauchte. Allmählich hatte sich die Moral gelockert, es war keine Schmach mehr, Gesetze zu übertreten. Es war nur eine Schmach, sich dabei erwischen zu lassen. »Laß dich bloß nicht erwischen!« – diese immer volkstümlicher werdende Redensart kennzeichnete den Verfall aller Sitten. Alles war verwirrt. Keiner fand sich mehr zurecht. Es war immer noch Krieg. Trotz Friedensschluß war der Franzose immer noch Feind. Jetzt war er an der Ruhr eingerückt, es sollten dort schreckliche Dinge geschehen.
    Wie konnten die Leute anders denken, als sie dachten – anders handeln, als sie handelten? Wenn sie an der Villa vorbeigingen und hörten die Teller klappern, so sagten sie: »Ja, der hungert nicht! Arbeiten wir weniger als er? Nein, wir arbeiten mehr! Warum sollen wir hungern und er nicht?«
    Haß entsprang dieser Erwägung. Hätten sie vor zehn Jahren solch Tellerklappern gehört, so hätten sie gesprochen: »Ja, der kann Kalbsbraten essen, und unser Pökelfleisch ist schon ganz strohig.« – Das war Neid – Neid ist kein Gefühl, das einen Auftrieb gibt, einen Menschen kampflustig macht – starke Hasser aber werden starke Kämpfer!
    Dieses Mal hatten sie sich erwischen lassen, ein erstes Mal erwischen lassen, so gingen sie gutwillig mit. Nach fünf Minuten schon schwatzten sie und lachten. Es war einmal etwas anderes, ein nächtliches Abenteuer! Was konnte ihnen groß geschehen? Ein paar Rübenblätter!
    Sie sprachen Wolfgang an, sie sagten es ihm: »Na, und was weiter, Herr?« fragten sie. »Ein paar Rübenblätter! Da schreiben Sie nun unsere Namen auf, melden’s dem Amtsgericht, Felddiebstahl. Das hat früher drei Mark gekostet, heute kostet es ein paar Millionen. Und was weiter? Bis wir das Strafmandat bezahlt haben, ist es gar nichts mehr, kein Pfennig mehr – die können uns auf unsern kleinsten Schein nicht mal rausgeben, so wenig ist das dann! Und deswegen die Knallerei?«
    »Ruhe!« befahl Pagel ärgerlich. »Das nächste Mal wird nicht in die Luft geschossen!«
    »Ach, wegen ein paar Rübenblätter wollen Sie einen Menschen unglücklich machen? So sind Sie also! Gut, daß man das weiß. Andere Leute können auch schießen!«
    »Stille biste!« riefen die Leute. »So was sagt man nicht.«
    »Ruhe!« rief Pagel scharf. Ihm war, als hätte er am Wege Gestalten gesehen. Konnte es der Rittmeister mit seiner Frau gewesen sein –? Unmöglich! Der hätte ein paar anerkennende Worte gesagt.
    In leidlicher Ordnung ging es auf den großen Rittergutshof.Nun wurde doch Schimpfen laut, als die Leute vor dem Kuhstall ihre Kiepen entleeren mußten. Sie hatten wohl geglaubt, für ihr Strafmandat die Blätter nach Hause nehmen zu können.
    »Was sollen wir nun unserer Ziege geben –?«
    »So ein Tier versteht das doch nicht. Das verlangt sein Futter.«
    »Müssen wir eben gleich noch mal losgehen!«
    »Stille biste –!«
    Der Humor war fort; ärgerlich, ausfallend, bissig, trotzig wurden die Namen gesagt. Aber sie wurden gesagt. Kowalewski brauchte keine Rippenstöße zu geben.
    »Das nächste Mal kriegen Sie mich nicht wieder«, erklärte einer.
    »Schreiben Sie Georg Schwarz II, Herr Inspektor«, meinte ein anderer. »Vergessen Sie die II nicht. Ich will nicht, daß mein Vetter mit so ’nem Scheißdreck zu tun hat.«
    »Weiter«, sagte Studmann müde. »Pagel, sehen Sie zu, daß es ein bißchen rascher geht. Weiter!«
    Schließlich: »Guten Abend, Kowalewski. – Ach ja, schönen Dank. Sie werden wohl keine Unannehmlichkeiten davon haben?«
    »Nein –
ich
nicht. Guten Abend.«
    Sie waren nun beide allein. Studmann und Pagel. Auf dem Schreibtisch lag unordentlich Papier, der schön gewachste Boden des Büros war beschmutzt und voller Sand. Es knirschte bei jedem Schritt.
    Studmann stand auf vom Schreibtisch, sah Pagel kurz an und meinte: »Eigentlich sind wir ganz fidel

Weitere Kostenlose Bücher