Wolf unter Wölfen
keinen Aufseher … Ich will keine gebildeten Gespräche führen … Ich lasse mich nicht einsperren von dir! Ich – ich hasse dich überhaupt! Ich mag dich nicht mehr sehen! Ach, ich will, ich will nicht mehr …«
Da hatte sie es wieder, das Schreien war gekommen, dann das immer wieder erstickte, fortgeschriene Schluchzen, das schließlich doch übermächtig aus ihr hervorbrach, sie verkrümmte, hinwarf – in ein jammervolles, von Krämpfen geschütteltes Bündel Geschrei und Gewimmer verwandelte.
Frau von Prackwitz sah sie an. Sie hatte ein festes Herz, sie weinte nicht schon darum, weil andere weinten. Ein grenzenloses Mitleid mit dem armen, verlaufenen, ratlosen Kind erfüllte sie. Aber sie dachte auch: Du lügst doch! Wenn du kein Geheimnis zu verteidigen hättest, würdest du dich nicht so steigern.
Sie drückte auf den Klingelknopf. Als sie den Schritt des Dieners hörte, öffnete sie die Tür und sagte: »Kommen Sie jetzt nicht herein, Hubert. Rufen Sie mir Armgard oder Lotte – dem gnädigen Fräulein ist schlecht geworden … Ja,und dann bringen Sie mir die Hoffmannstropfen aus dem Apothekenschränkchen.«
Während die gnädige Frau sachte wieder die Tür schloß, lächelte sie traurig. Als sie mit dem Diener gesprochen hatte, hatte sie weiter auf das Wimmern und Weinen gelauscht. Merklich war es leiser geworden, als sie dem Diener ihre Weisungen gab, es war fast verstummt, als die verhaßten Hoffmannstropfen bestellt wurden.
Es geht dir wohl schlecht, mein Kind, dachte Frau von Prackwitz. Aber es geht dir nicht so schlecht, daß dich nicht mehr interessiert, was mit dir wird. Es hilft nichts, wir müssen durchhalten, bis eine nachgibt. Hoffentlich du!
2
Der Rittmeister kam auf das Büro gestürmt.
»Hallo!« sagte von Studmann. »Das heiße ich eilig! Kommen die Leute –?«
»Die Leute können mir im Mondschein begegnen!« schrie der Rittmeister, dem sein Sturmlauf frischen Zornesmut gegeben hatte. »Wo ist mein Brief? Ich will meinen Brief haben!«
»Du mußt nicht so schreien!« meinte Studmann kühl. »Ich höre noch immer ausgezeichnet. Was für ein Brief –?«
»Das wäre ja noch schöner!« schrie der Rittmeister lauter. »Mir werden meine Briefe unterschlagen, und ich soll nicht einmal meine Meinung sagen dürfen?! Ich verlange meinen Brief –.«
»Herr Pagel, bitte, seien Sie so freundlich und schließen Sie die Fenster. Es braucht ja schließlich nicht ganz Neulohe zu hören, was wir hier …«
»Pagel, Sie lassen die Fenster offen! Sie sind
mein
Angestellter, verstanden?! Ich will endlich den Brief haben – drei, vier, fünf Wochen ist er alt …«
»Ach so,
den
Brief meinst du, Prackwitz …«
»Mir werden also noch mehr Briefe unterschlagen?! Du hast Heimlichkeiten mit meiner Frau, Studmann!«
Hier platzte der junge, leichtfertige Pagel heraus.
Der Rittmeister stand starr. Erst faßte er es nicht. Der junge Pagel hatte gelacht. Man hätte das Sirren einer Mücke auf dem Büro gehört, so still war es.
Der Rittmeister machte zwei lange Schritte auf Pagel zu. »Sie lachen? Sie lachen, Herr Pagel, wenn ich zornig bin –?«
»Verzeihen, Herr Rittmeister – es klang nur so komisch … ich habe nicht über Herrn Rittmeister gelacht … Nur, es klang so komisch … Herr Studmann hat Heimlichkeiten mit der gnädigen Frau …«
»So. – So!« Eiskalter Blick, mustern von oben bis unten. »Sie sind entlassen, Herr Pagel. Sie können sich von Hartig zum Dreiuhrzug auf die Bahn fahren lassen.« Lauter: »Keine Widerworte, bitte! Verlassen Sie das Büro. Ich habe hier geschäftliche Verhandlungen.«
Ein wenig weiß, doch in guter Haltung verließ der junge Pagel das Büro.
Herr von Studmann lehnte jetzt gegen den Kassenschrank, geärgert, mit gerunzelter Stirn sah er aus dem Fenster hinaus. Der Rittmeister betrachtete ihn von der Seite. »Das ist ein ganz unverschämter Bengel!« knirschte er probeweise, aber Herr von Studmann reagierte nicht.
»Ich bitte jetzt endlich um meinen Brief«, sagte der Rittmeister.
»Ich habe den Brief bereits Herrn von Teschow zurückgegeben«, berichtete von Studmann kühl. »Ich habe den Herrn Geheimrat davon überzeugen können, daß seine Forderung unberechtigt war. Er bat um Rückgabe des Briefes, damit die Sache wie nicht gewesen sei …«
»Das glaube ich!« lachte der Rittmeister bitter. »Hast dich von dem alten Fuchs reinlegen lassen, Studmann! Hat sich blamiert, und du gibst ihm den Beweis seiner Blamage zurück.
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