Wolf unter Wölfen
»keine mustergültige Ordnung vorgefunden. Nein, verzeihe bitte, Prackwitz. Aber eines war mustergültig: nicht ein Buch aus der Zeit deines Vorgängers war mehr aufzufinden, nichts, aus dem man über Erträge Neulohes in früheren Jahren Aufschluß bekommen könnte. Aber schließlich gibt es andere Wege. Der Leutevogt hat Druschlisten geführt, auf dem Finanzamt gibt es Aufzeichnungen, die Händler führen Eingangsbücher – nun, mit einiger Mühe bin ich schließlich zu dem Ergebnis gekommen, daß Neulohe auch in früheren Jahren nur einen Durchschnittsertrag von fünf bis sechs Zentner Roggen auf den Morgen hatte …«
»Viel zu niedrig, Studmann!« rief der Rittmeister triumphierend. »Du bist eben kein Landwirt …«
»Ich habe bei dem – Verpächter eine Stichprobe gemacht.Er wußte ja nicht, warum ich fragte, er wollte mich ein bißchen reinlegen, er denkt wie du, ich bin kein Landwirt … Aber ich bin ein Mann, der rechnen kann; wer reingelegt wurde, war der andere, Herr von Teschow. Der Verpächter hat mir gegen seinen Willen bestätigt: fünf bis sechs Zentner Durchschnittsertrag, mehr darf man nicht annehmen. Es ist eben viel Sand in den Außenschlägen, sagte der Verpächter.«
»Aber dann zahle ich ja …« Der Rittmeister hielt bestürzt inne.
»Jawohl«, sagte Studmann unbeugsam, »du zahlst fünfundzwanzig bis dreißig Prozent deiner Roherträge als Pacht. Das dürfte wohl kaum tragbar sein. – Wenn Sie sich erinnern wollen, gnädige Frau«, erklärte Herr von Studmann freundlich, »damals, im Mittelalter, zahlten die Bauern an ihren Grundherrn den ›Zehnten‹, den zehnten Teil ihrer Roherträge also. Das war nicht tragbar, schließlich empörten sich die Bauern und schlugen ihre Herren tot. Ihr Herr Gemahl zahlt nicht den Zehnten, nein, er zahlt den Vierten – aber einem Totschlag möchte ich doch widerraten.«
Herr von Studmann lächelte, er war glücklich. Das Kindermädchen konnte erziehen, der Lehrer durfte belehren – er vergaß darüber ganz die Verzweiflung seiner Hörer. Ein Kind, dem sein Spielzeug entzweigegangen ist, findet es nicht sehr tröstlich, wenn es darüber belehrt wird, wie es dieses Entzweigehen hätte vermeiden können …
»Aber was sollen wir tun?« flüsterte die gnädige Frau tonlos. »Was sollen wir bloß anfangen –?«
»Mein Schwiegervater hat sicher keine Ahnung von alldem«, sagte der Rittmeister. »Man muß ihm das einmal vorstellen. Du bist so geschickt und ruhig, Studmann …«
»Und das Schweigegebot an den Sohn in Birnbaum?«
Der Rittmeister verstummte.
Von neuem begann Herr von Studmann: »Bis hierher kann man noch immer an einen Verpächter glauben, der sehr gern Geld verdient. Zu gerne. Etwas gierig, nicht wahr? Aber leider ist es noch schlimmer …«
»Bitte nicht, Herr von Studmann! Es ist jetzt wirklich genug.«
»Nein, höre wirklich auf …«
»Man muß alles wissen, sonst handelt man falsch. Die Roggenpacht beträgt dreitausend Zentner – anderthalb Zentner pro Morgen –, sie entspricht einer Gutsgröße von zweitausend Morgen. Und als so groß ist das Gut auch im Pachtvertrag angegeben …«
»Stimmt das auch wieder nicht?«
»Ich habe immer gehört, daß Neulohe zweitausend Morgen groß ist, schon viel früher«, sagte die gnädige Frau.
»Es ist auch richtig, Neulohe ist zweitausend Morgen groß«, bestätigte Herr von Studmann.
»Na also –!« rief der Rittmeister aufatmend.
»Neulohe ist zweitausend Morgen groß – aber wie groß ist die Fläche, die du bestellst, Prackwitz? Von den zweitausend Morgen gehen Wege und Unland ab, Feldraine, Wasserlöcher in den Schlägen, Steinhaufen. Es gehen auch ein paar Stücke ehemaliges Ackerland ab, die mit Fichten aufgeforstet sind – da kannst du dir einen Weihnachtsbaum holen, Prackwitz, ohne den Forstbesitzer fragen zu müssen …«
»Na ja, so Kleinigkeiten. Ich weiß, die eine Kuschelecke …«
»Es geht aber auch ab: der Riesenhofplatz, die Leutehäuser, hier das Beamtenhaus, deine Villa mit Garten, es geht auch ab –: das Schloß und der Park –! Ja, mein lieber Prackwitz, du zahlst deinem Schwiegervater Roggenpacht noch für das Haus, in dem er wohnt!«
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das tue!« schrie der Rittmeister.
»Sachte, sachte – das wäre ein bequemer Weg für dich, aus allen Schwierigkeiten zu kommen. Das möchtest du wohl. Ich habe es mir auf der Flurkarte ausgerechnet, die Größe des tatsächlich genutzten Bodens beläuft sich auf wenig über
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