Wolf unter Wölfen
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie rief. Aber wir haben hier eine Besprechung, bei der Sie dabeisein müßten. Wir reden nämlich vom Geld …«
»Wirklich?« sagte Frau Eva, nahm den Rasierspiegel auf und betrachtete sich prüfend darin. »Das ist freilich ein ganz neues Thema für mich! Achim redet davon nicht häufiger als jeden Tag …«
»Ich bitte dich, Eva!« rief der Rittmeister.
»Und warum redet mein Freund Prackwitz alle Tage von Geld? Weil er keines hat. Weil die kleinste Rechnung ihn schon in Aufregung bringt. Weil die Pachtzahlung am ersten Oktober wie ein Alpdruck auf ihm lastet. Weil er immer daran denkt, ob er es auch schaffen wird …«
»Sehr richtig, Studmann, ich mache mir eben Sorgen. Ich bin ein vorsorglicher Kaufmann …«
»Wir wollen uns einmal deine finanzielle Situation ansehen. Reserven hast du keine, die laufenden Ausgaben werden aus laufenden Einnahmen bezahlt, das heißt aus Viehverkäufen, aus Frühkartoffelverkäufen, aus der Ernte … Reserven hast du keine …«
Studmann rieb sich nachdenklich die Nase. Die gnädige Frau bespiegelte sich. Der Rittmeister lehnte am Ofen, war gelangweilt, hoffte aber inbrünstig, daß Studmann (»dieses ewige Kindermädchen!«) wenigstens so viel Takt besitzen würde, nicht von den Spielschulden anzufangen. –
»Nun kommt der erste Oktober«, sagte von Studmann, immer noch sehr nachdenklich. »An diesem ersten Oktober ist die Jahrespacht bar auf den Tisch des Herrn Geheimrats von Teschow zu legen. Die Jahrespacht beträgt, wie bekannt sein dürfte, dreitausend Zentner Roggen. Soweit ich mich unterrichtet habe, ist etwa ein Preis von sieben bis acht Goldmark pro Zentner anzusetzen, das wäre eine Summe von zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend Goldmark, in Millionen und Milliarden nicht ausdrückbar. Schon darum nicht, weil uns der Roggenpreis in Papiermark am ersten Oktober nicht bekannt ist …«
Von Studmann sah seine Opfer versonnen an, aber sie merkten noch nichts.
Sondern der Rittmeister sagte: »Ich finde es sehr dankenswert, Studmann, daß du dich mit allen diesen Dingen beschäftigst. Aber sie sind uns – verzeih! – bekannt. Die Pacht ist etwas hoch, aber ich habe ja eine ganz nette Ernte draußen stehen, und da ich jetzt die Leute bekomme …«
»Entschuldige, Prackwitz«, unterbrach Studmann, »du siehst das Problem noch nicht. Du hast am ersten Oktober Herrn von Teschow den Wert von dreitausend Zentnern Roggen zu übergeben. Da die Goldmark ein fiktiver Begriff ist, in Papiermark, zum Roggenpreis am ersten Oktober …«
»Das verstehe ich alles, lieber Studmann, es ist mir bekannt, daß …«
»Du kannst aber«, fuhr der unerbittliche Studmann fort, »nicht dreitausend Zentner Roggen an einem Tage dem Händler abliefern. Du brauchst, nach deinen Arbeitsbüchern zu urteilen, etwa vierzehn Tage dazu. Sagen wir also, du lieferst am zwanzigsten September dreihundert Zentner Roggen ab. Der Händler gibt dir, sagen wir mal, dreihundert Milliarden dafür. Du legst die dreihundert Milliarden in deinen Geldschrank für die Zahlung am ersten Oktober. In der Zeit vom zwanzigsten September bis zum dreißigsten fällt die Mark weiter, wie wir es in der letzten Zeit erlebt haben. Für die dreihundert Zentner am dreißigsten September bekommst du vom Händler, sagen wir mal, sechshundert Milliarden. Dann stellen die dreihundert Milliarden in deinem Geldschrank nur noch den Wert von hundertfünfzig Zentnern Roggen dar. Du müßtest noch einmal hundertfünfzig Zentner nachliefern … Das ist doch klar?«
»Erlaube mal«, sagte der Rittmeister verwirrt. »Wie war das? Dreihundert Zentner sind plötzlich nur hundertfünfzig Zentner …«
»Herr von Studmann hat ganz recht«, rief Frau von Prackwitz lebhaft. »Aber das ist ja schrecklich. Das kann ja kein Mensch leisten …«
»Es ist durch vierzehn Tage ein Wettlauf mit der Inflation«, sagte Herr von Studmann. »Und uns wird dabei der Atem ausgehen.«
»Aber die Inflation braucht doch nicht immer so weiterzugehen!« rief der Rittmeister empört.
»Nein, natürlich nicht. Aber das weiß man nicht. Es hängt von so vielem ab: von der Haltung der Franzosen an derRuhr, der Festigkeit der jetzigen Regierung, die den Ruhrkampf unter allen Umständen fortsetzen will, also Geld über Geld braucht, von der Haltung Englands und Italiens, die jetzt noch gegen das Ruhrabenteuer Frankreichs sind. Von tausend Dingen also, auf die wir keinen Einfluß haben – aber wir müssen jedenfalls am ersten
Weitere Kostenlose Bücher