Wolf unter Wölfen
Backe. Hoffentlich lohnt es die Barthaare, überlegte er. Aber jedenfalls wird es das beste sein, wenn ich die nächsten Stunden nicht erreichbar bin. Passiert den Gänsen was, steht Belinde auch allein ihren Mann.
Er ging rasch durch den Park, auf der andern Seite hinaus, über Feldraine dem Waldrand zu. Der Wind stand ihm entgegen.Darum hörte er die Schüsse nicht. Aufatmend tauchte er in den Schatten seiner Bäume.
Der junge Pagel ist nun mit seinen Maurern schon bei dem Querbalken des Kreuzes. Jetzt ist auch auf größere Entfernung nicht mehr zu verkennen, was dies werden soll. Darum wird auch nicht mehr gelacht, darum werden die Köpfe nicht mehr zusammengesteckt, darum wird nicht mehr zu den Schloßfenstern hinübergeschielt.
»Die sitzen doch da und linsen«, sagt der Maurer Tiede. »Und wenn wir hinschielen, ist’s ganz verkehrt.« Also wird nicht hingeschielt, sondern rein sachlich gearbeitet.
Aber so ist es auch verkehrt, die alte Gnädige fliegt am ganzen Leib ob der ihr angetanen Kränkung. Mädchen und Mamsell laufen wie die Hühner im Schloß umher und suchen umschichtig den Diener Elias und den Herrn Geheimrat …
»Aber wenn man die Männer braucht, sind sie sicher nie da!« krächzt Jutta von Kuckhoff.
»Mit dem Heiligsten treiben sie heute ihren Spott«, stöhnt die alte Frau. »Aber merke es dir, Jutta, dieser junge Mensch wird auch im Zuchthaus enden.«
»Was eine Schweinsborste werden will, ist in der Jugend keine Flaumfeder«, bestätigt die Kuckhoff und gießt ihrer Freundin ein Glas Portwein ein.
Zwei Flintenschüsse klingen aus der Ferne herüber. Aber in dem allgemeinen Trubel achtet niemand auf sie. –
Herr von Studmann hat die Schüsse näher gehört, ganz nahe. Er hat sich von der Amanda schließlich frei gemacht, er hat ihr versprochen, noch einmal mit dem Geheimrat zu reden. Nun geht er langsam, um nicht wieder in Schweiß zu geraten, durch die sommerliche Nachmittagshitze der Villa zu.
Er fährt zusammen, als er in nächster Nähe die Schüsse knallen hört. Was für ein Idiot schießt hier direkt bei den Häusern! denkt er in plötzlichem Zorn.
Die schnatternd und spektakelnd über den Weg flüchtendenGänse bringt er zuerst nicht mit den Schüssen in Verbindung. Dann sieht er eine Nachzüglerin, wehmütig klagend, mit hängendem, wohl gebrochenem Flügel. Dann sieht er drei, vier, fünf weiße Flecke auf dem grünen Feld. Einer dieser Flecke bewegt noch krampfhaft Füße und Kopf – und wird still.
Aber das sind doch zahme Gänse, keine Wildgänse! denkt Studmann verwundert, der noch lange nicht alle Neuloher Zusammenhänge kennt.
Jetzt erblickt er den Rittmeister in einem Parterrefenster der Villa, die Flinte in der Hand. Der Rittmeister ist schneeweiß im Gesicht, er zittert am ganzen Leibe vor Aufregung. Er sieht den Freund starr an, als erkenne er ihn nicht. Dann schreit er viel zu laut: »Bestelle meinem Schwiegervater einen Gruß – und da hätt er Gänsebraten von mir!«
Der Rittmeister schreit’s, sieht Studmann noch einmal starr an, mit zitternden Lippen, und ehe Studmann noch antworten kann, hat er das Fenster zugeworfen.
Unglück, Unheil, Mißgeschick! fühlt Studmann, ohne noch alles zu verstehen.
Er rennt die paar Stufen zum Eingang hinauf, er vergißt das Klingeln, aber das macht nichts, die Tür ist offen. Auf der kleinen Diele stehen Frau von Prackwitz, Violet von Prackwitz, der alte Diener Elias …
Ach, wenn Unglück einen Mann befallen soll, kommt es unaufhaltsam; kein Kindermädchen Studmann, keine geduldige Frau Eva können es aufhalten! Wäre die gnädige Frau am Kaffeetisch sitzen geblieben, sie hätte durch das offene Fenster das schnatternde Herannahen der feindlichen, der gefürchteten Gänse gehört. Sie hätte die jähzornigen schlimmen Schüsse verhindern können … Aber da brachte der Diener Elias die Botschaft, das gnädige Fräulein möge zur gnädigen Frau auf das Schloß kommen – man durfte den Rittmeister nicht reizen, und man mußte vertraulich mit Elias sprechen … Man trat auf die Diele hinaus – keine zwei Minuten vergingen, und es fielen die verhängnisvollen Schüsse!
Weinend eilt die gnädige Frau auf Herrn von Studmann zu. Der große Kummer hat alle Schranken zerbrochen, sie faßt seine Hände, verzweifelt sagt sie: »Ach, Studmann, Studmann, nun ist alles entzwei – nun hat er geschossen!«
»Die Gänse?« fragt Herr von Studmann und sieht die ernsten, bestürzten Gesichter reihum an.
»Mamas
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