Wolf unter Wölfen
sich aus dem Zaunholz ziehenden Nägel schrien nicht sehr erheblich –, und der Geheimrat hielt die Latte in der Hand.
Ein wenig schnaufend sah er sich um. Wiederum arbeitete sein Gedächtnis ausgezeichnet: er sah scharf nach dem Busch, in dem er damals die Amanda Backs zu sehen geglaubt hatte. Jetzt bei Tageslicht erkannte er, daß es ein Pfaffenhütchenbusch war – und keiner und keine steckten im Busch. Der Geheimrat ging und setzte mitten in ihn hinein die losgebrochene Latte. Er ging rund um den Busch herum. Der Busch erfüllte alle auf ihn gesetzten Erwartungen – die Latte war unsichtbar geworden.
Befriedigt nickte der Geheimrat und ging auf die Suche nach Attila. Es war nicht des Geheimrats Art, ein Loch in einen Zaun zu machen und es nun den Gänsen zu überlassen, daß sie eines Tages, und wahrscheinlich gerade im falschen Augenblick, dieses Loch finden würden – dies war die Stunde! Sozusagen waren die Gänse in dieser Minute der Tropfen, der den Becher in des Rittmeisters Galle zum Überlaufen bringen mußte –
jetzt
ging also der Geheimrat auf die Suche nach Attila!
Er fand die Gänse – anderthalb Dutzend an der Zahl – auf der Wiese beim Schwanenteich, wo sie mißvergnügt an dem sauren Parkgras herumbissen. Sie begrüßten ihn mit mißbilligendem, aufgeregtem Gezeter. Sie verdrehten ihre Hälse, sielegten ihre Köpfe auf die Seite, sie schielten von unten himmelblaugiftig nach ihm und zischten böse. Aber der Geheimrat kannte seine Gänse, wenn sie ihn auch nicht erkannten. Diese böse zischenden Damen waren vorübergehende Erscheinungen; Gottes Stellvertreter hier auf Erden, in diesem Falle Frau Geheimrat von Teschow, überlieferte sie alljährlich dem Schlachtmesser der Mamsell, bis auf drei, vier Zuchttiere. Sie hatten keine Ruhestatt dahier, flüchtige Gäste waren sie nur auf des Geheimrats Parkwiesen, kaum erwachsen, wandelte sich ihr junges Fleisch in Spickbrust und Pökelkeulen.
Bleibend, Geschlechter und Geschlechter überdauernd, war nur Attila, der Zuchtganter, ein schwerer Gänserich von einundzwanzig Pfund. Stolz und überlegen hielt er sich für der Schöpfung Nabel, biß die Kinder, flatterte zornig den Briefträgern in die Räder, sie zu Falle bringend, haßte die neuerdings immer länger aus den Röcken reichenden Frauenbeine, die er blutrünstig zwackte. Strenger Herrscher in seinem Harem, völliger König und Autokrat, vertrug er Widerspruch gar nicht, war der Schmeichelei unzugänglich, gehorchte niemandem und hatte nur einen weichen Platz in seinem Gänseherzen – für den Herrn Geheimrat Horst-Heinz von Teschow.
Zwei gleichgestimmte Seelen hatten sich erkannt und liebten einander!
Abseits von dem unvernünftigen Weibervolk wandelnd, wahrscheinlich irgendwelchen Betrachtungen über gänsische Probleme hingegeben, hatte er die Ankunft des guten Freundes nicht beachtet. Nun aufmerksam geworden, sah er einen Augenblick mit seinen blaßvergißmeinnichtblauen Augen zu der spektakelnden Schar hinüber. Er erkannte den Anlaß des Spektakels, und mit weit ausgebreiteten Flügeln flatterte er knatternd auf den Geheimrat zu.
»Attila!« rief der. »Attila!«
Die Gänse schnatterten aufgeregt. Der Ganter eilte näher in nicht zu hemmender Eile … Von seinen starken Flügelschlägen getroffen, flogen und taumelten die bestürztenFrauen zur Seite – und an die Beine des Geheimrats geschmiegt, den Hals gegen seinen Bauch gelegt, mit dem Kopf sanft gegen den Fettball klopfend, schnatterte der Ganter leise und zärtlich vieles, mit jedem Ton bedingungslose Liebe des Freundes zum Freunde bekundend.
Schief die Köpfe, langsam wellenförmig die Hälse schlängelnd, stand das Volk der Gänse rundum.
»Attila!« sprach der Geheimrat und kraulte ihm den Kopf dort, wo sich Gänse ihn nie kraulen können, direkt über dem Schnabelansatz. Sanft drückte mit einem leichten, wie einschlafenden Schnattern der Ganter den Schnabel gegen den sacht wogenden Bauch. Dann, als die kraulenden Finger lässiger wurden, schob er mit einer plötzlichen, geschickten Bewegung den Kopf zwischen Weste und Hemd und blieb so ruhend, völlig selig, des höchsten Erdenglückes wieder einmal teilhaftig geworden.
Eine Zeitlang mußte der Geheimrat dem Freunde schon solch friedvolles Verweilen zugestehen. Er stand auf der Parkwiese, von Sommerschatten und Sommersonne getupfelt, seine Zigarre langsam weiterschmauchend, ein bärtiger, rotbackiger Greis in ziemlich durchschwitztem Loden, und Geschöpf dieser
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