Wolf unter Wölfen
Bäumer …«
»Ja, ja, Kniebusch«, sagte der Rittmeister, sehr zufrieden, daß andere auch ihre Sorgen hatten. »So ist eben die Welt heute, das verstehen Sie bloß nicht. Wir haben den ganzen Krieg durch gesiegt und sind nun die Besiegten. Und Sie sind Ihr ganzes Leben ehrlich gewesen und kommen jetzt ins Gefängnis. Das ist alles ganz in Ordnung – nehmen Sie mich zum Beispiel. Mein Schwiegervater …«
Und der Rittmeister sprach dem alten Förster den ganzen Rest des Weges weiter tröstlich zu.
10
Es wurde schon dunkel, als Herr von Prackwitz mit seiner Tochter aus dem Wald nach Haus kam. Trotzdem war die gnädige Frau noch immer nicht aus dem Schloß zurück. Weio stieg hinauf in ihr Zimmer, unten ging der Rittmeister unmutig auf und ab. Er war in der besten Laune aus dem Walde heimgekehrt, er hatte heimlichen militärischen Operationen zugeschaut, die auf den bereits vorbereiteten Sturz der jetzigen verhaßten Regierung schließen ließen, und wenn er auch unter allen Umständen Diskretion üben würde, so konnte er doch in Andeutungen Eva seine neue Wissenschaft ahnen lassen.
Und nun war keine Eva da! Statt dessen stand im Arbeitszimmer am Fenster die abgeschossene Flinte und erinnerte ihn an den albernen, ärgerlichen Zwischenfall. Seit fünf, seit sechs Stunden saß seine Frau wegen dieser Geschichte, bei der er sonnenklar in seinem Rechte gewesen war, im Schloß, und der tüchtige Freund Studmann saß sicher mit! Es war lächerlich, es war kindisch, es war nicht auszuhalten! Der Rittmeister klingelte nach dem Diener Räder und erkundigte sich, ob seine Frau nichts wegen des Abendessens hinterlassen habe? Mit vorwurfsvollem, gereiztem Ton versicherte er, Hunger zu haben. Der Diener Räder meldete, die gnädige Frau habe keine Weisungen gegeben. Nach einer kurzen Pause fragte er dann, ob er für den Herrn Rittmeister und das gnädige Fräulein den Abendbrottisch decken solle?
Der Rittmeister beschloß, ein Märtyrer zu werden, und sagte, nein, er wolle warten. – Als der Diener aus der Tür ging, kam seinem Herrn doch noch die Frage über die Lippen, die er hatte hinunterschlucken wollen, ob die Gänse im Schloß abgegeben worden seien.
Räder drehte sich um, sah seinen Herrn ausdruckslos an und sagte: nein, der Herr Studmann habe es nicht leiden wollen. – Damit ging der Diener.
Die Dunkelheit fiel rascher, in den Zimmern war es sehrgrau – so grau kam dem Herrn von Prackwitz sein Leben vor. Er war im Walde gewesen, er hatte Interessantes erlebt, das hatte ihn fröhlich gemacht. Aber kaum heimgekommen, fiel alles Graue wieder über ihn her, es gab keine Rettung, es war wie ein zäher, erbarmungsloser Sumpf, der ihn jeden Tag tiefer einsog.
Der Rittmeister stützte den Kopf in die Hände, er hatte nicht einmal mehr Kraft für seinen raschen Zorn. Er sehnte sich nach einer andern Welt, in der einem nicht alles Schwierigkeiten bereitete, sogar Frau und Freund. Er wäre gern fort gewesen aus Neulohe. Wie alle schwachen Menschen klagte er ein imaginäres Schicksal an: Warum muß mich das alles befallen?! Ich tue doch keinem Menschen etwas! Ich bin ein bißchen jähzornig, aber ich meine es nicht böse, ich bin immer gleich wieder gut. Ich stelle doch wahrhaftig keine großen Anforderungen, ich bin ganz bescheiden! Andere haben dicke Autos, fahren alle Woche nach Berlin, haben Frauenzimmergeschichten! Ich bin anständig und stecke ewig in Verlegenheiten …
Er stöhnte, er hatte starkes Mitleid mit sich. Er hatte auch sehr starken Hunger. Aber kein Mensch kümmerte sich um ihn. Allen war es egal, wie es ihm ging. Er konnte verrecken, da guckte kein Mensch danach, seine Frau schon gar nicht. Gesetzt den Fall, er schösse sich in seiner tiefen Verzweiflung eine Kugel durch den Kopf – ein etwas weicherer Mensch als er wäre in seiner Situation dazu imstande! Sie käme heim und fände ihn hier liegen! Sie würde ein schönes Gesicht machen; dann, wenn es zu spät war, würde es ihr leid tun. Zu spät würde sie einsehen, was sie an ihm gehabt hatte!
Die Vorstellung seines einsamen Todes, der Gedanke an seine verzweifelt trauernde Witwe erschütterte den Rittmeister, daß er aufstand, Licht machte und sich am Likörschrank einen Wodka einschenkte. Dann brannte er sich eine Zigarre an und löschte das Licht wieder. In einem Sessel hockend, die langen Beine von sich gestreckt, versuchte er noch einmal, sich sein Sterben auszumalen. Aber zu seiner Betrübnis mußteer feststellen, daß beim zweiten Male
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