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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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tönt es zu ihr herauf: »Hupf, mein Mädel, hupf recht hoch …« Einen Augenblick weiß sie, daß es ihr Vater ist, dem das Warten langweilig wurde. Er hat sich das Grammophon aufgedreht – »Hupfe, hupfe, hupfe doch! Hoffentlich hast du im Strumpfe kein Loch …«
    Aber jetzt ist es, als würde die Melodie schwächer und schwächer, als verlöre sie ihre Kraft in der immer tiefer eindringenden Kälte. – Ihre Sinne werden stumpf für die Außenwelt,sie spürt nur noch die Hand … Und spürt jetzt die andere Hand …
    Die Finger berühren leise tastend ihren Nacken, sie schieben die Haare zurück … Nun gleitet die Hand ganz um ihren Hals, mit einem leichten Druck liegt der Daumen auf dem Kehlkopf, dabei verstärkt sich der Druck auf ihrem Herzen …
    Sie macht eine rasche Bewegung mit ihrem Kopf, um ihren Hals von der Hand zu befreien – umsonst, fester liegt der Daumen auf …
    Aber es ist doch bloß der Diener Hubert – er kann mich doch nicht ersticken wollen …
    Sie atmet schwer. In ihren Ohren braust das Blut. Im Kopf wird es ihr leicht schwindlig …
    Hubert! will sie schreien …
    Da ist sie frei – nach Atem ringend, starrt sie in das Dunkel, das schon hell wird. An dem Lichtschalter steht der Diener Hubert, untadelig, grau, kein Härchen in seiner Tolle verschob sich …
    »Hupfe, hupfe, hupfe doch …«, klingt es wieder von unten.
    »Ich danke auch vielmals, gnädiges Fräulein«, sagt er so unbewegt, als habe sie ihm einen Taler geschenkt. »Der Brief wird bestens besorgt.«
    Er hat ihn schon wieder in der Hand, muß ihn sich im Dunkeln vom Tisch genommen haben.
    Auf dem Wege vor dem Hause erklingt die Stimme ihrer Mutter, nun die des Herrn von Studmann.
    »Es wird sofort Abendessen geben, gnädiges Fräulein«, sagt der Diener Räder und gleitet aus dem Zimmer.
    Sie sieht sich um. Es ist ihr Zimmer, unverändert. Es war auch der alte unveränderte, alberne Diener Räder, und auch sie hat sich nicht verändert. Ein wenig mühsam, als hätten ihre Glieder das volle Leben noch nicht zurück, geht sie vor den Spiegel und sieht ihren Hals an. Aber von dem feuerroten Striemen, den sie sich einbildete, ist nichts zu sehen. Keine noch so leise Rötung der Haut. Er hat sie nur ganz sachte angefaßt, wenn er sie überhaupt angefaßt hat. Vielleicht hat siesich das meiste nur eingebildet. Er ist eben ein verrückter, ekelhafter Kerl; wenn eine kleine Zeit vergangen ist, daß er nicht denkt, es geht von ihr aus, muß sie bei Papa und Mama erreichen, daß ein anderer Diener ins Haus kommt …
    Plötzlich, sie hat sich schon das Gesicht gewaschen, überkommt sie ein Gefühl grenzenloser Verzweiflung, als sei alles verloren, als habe sie um ihr Leben gespielt und habe es verloren …
    Sie sieht ihren Leutnant Fritz, plötzlich aufflammend und nun wieder ganz kalt, fast häßlich zu ihr … Sie hört Armgard zur Mutter flüstern, daß Hubert ein Unhold sei, und der Gedanke schießt ihr durch den Kopf, daß Hubert vielleicht auch der dicken Köchin Armgard die Hand so auf die Brust, so um den Hals gelegt hat – und daß sie den Diener darum haßt …
    Mit einer fast gleichgültigen Neugierde betrachtet sich Violet im Spiegel. Sie sieht das weiße Fleisch ihrer Arme, des Halses an, sie streift den Brustausschnitt zurück. Das Fleisch müßte fleckig und verdorben aussehen, so beschmutzt kommt sie sich vor. (Dieselbe Hand, die Armgard angefaßt hat …) Aber das Fleisch ist weiß und blühend …
    »Abendessen, Weio!« ruft die Stimme der Mutter von unten.
    Sie schüttelt die quälenden Gedanken ab, wie ein Hund Wasser aus seinem Fell schüttelt. Wahrscheinlich sind die Männer alle so, denkt sie. Alle ein bißchen eklig. Man muß eben nicht daran denken.
    Sie läuft die Treppe hinunter, vor sich hin summend: »Hupf, mein Mädel, das Bein recht hoch –!«

11
    Es stellte sich heraus, daß Frau Eva mit Herrn von Studmann schon drüben im Schloß bei den alten Teschows zu Abend gegessen hatte. Tief gekränkt saß der Rittmeister mitseiner Tochter am Tisch, während die beiden, auf die er so heroisch gewartet hatte, leise miteinander redend, im Nebenzimmer saßen. Die Tür stand offen, vernehmlich brummte und knurrte der Rittmeister, ließ abgebrochene Sentenzen über Pünktlichkeit und Rücksichtnahme fallen und bellte von Zeit zu Zeit seine Tochter an, die behauptete, keinen Appetit zu haben.
    Der Diener Räder stand mit einer Serviette unter dem Arm an der Tür und war der einzige, der die Billigung des

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