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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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die Bilder lange nicht mehr so stark wirkten wie das erstemal.
     
    Der Diener Räder, dieser aus unbegreiflichen Erwägungen heraus handelnde Mensch, dieser verschlagene Diplomat der Dienerstube, der ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen hatte, das er mit tausend Ränken und Kniffen verfolgte – der Diener Räder stieg leise wieder in das Zimmer des gnädigen Fräuleins hinauf, nachdem er den Pfeil gegen Herrn von Studmann in das Herz seines Herrn abgeschossen hatte. Fräulein Violet saß am Tisch und schrieb eifrig.
    »Nun, was wollte Papa?« fragte sie.
    »Der Herr Rittmeister wußte nicht, wie es mit dem Abendessen werden sollte.«
    »Und wie wird es?«
    »Herr Rittmeister wollen warten.«
    »Wenn Mama noch im Schloß bliebe, könnte ich selber den Brief hinbringen …«, zögerte Weio.
    »Wie gnädiges Fräulein wünschen«, sagte der Diener Räder kühl.
    Weio schloß den Brief sorgfältig, hielt ihn in der Hand und sah Räder prüfend an. Heute vormittag hatte sie noch vorgehabt, ihn einer kräftigen Tracht Prügel, vom jungen Pagel verabreicht, auszuliefern. Aber man löst sich nicht so leicht von einem Mitverschworenen und Mitwisser. Immer wieder stellt sich heraus, daß man ihn braucht. Weio war fest überzeugt, daß der Leutnant heute abend nach dem Vergraben der Waffen noch ins Dorf kommen würde. Er hatte sich vierzehn Tage nicht im Dorf sehen lassen, so lange war er noch nie abwesend gewesen. Anders als die andern, hatte er keinen Stahlhelm aufgehabt. Beweis, daß er noch einen Weg vorhatte! Schon sicherheitshalber würde er in dem Baum nach Botschaft von ihr sehen, aber noch sicherer würde es sein, ihm den Brief persönlich auszuhändigen. Und sie konnte nicht weg, Räder war der beste Bote … und Räder war jetzt auch gar nicht frech …
    Ach, die kleine, verlaufene, arme Weio! Sie hatte vergessen, daß sie ihrem Fritz geschworen hatte, nie wieder einen Brief zu schreiben. Sie hatte vergessen, daß sie Pagel geschworen hatte, die Sache sei zu Ende. Sie hatte vergessen, daß sie sich geschworen hatte, sich nie wieder mit dem stets unheimlicher werdenden Räder einzulassen! Sie hatte vergessen, daß sie ihren Vater und ihren Freund Fritz in Gefahr brachte, wenn sie in einem solchen Brief von den vergrabenen Waffen schrieb!
    Ihr Herz hatte sie alles vergessen lassen, das Herz war ihr mit Sinn und Verstand durchgegangen, sie dachte nur daran, daß sie ihn liebte, daß sie sich vor ihm rechtfertigen mußte, sie dachte nur daran, daß sie ihn wiedersehen wollte um jeden Preis, daß er sie nicht so kalt beiseite lassen durfte, daß sie nicht mehr warten konnte, daß sie ihn brauchte!
    Violet nimmt den Brief und reicht ihn dem Diener. »Also Sie besorgen den gut, Hubert.«
    Räder hat keinen Blick von ihrem Gesicht gelassen, seine bleifarbenen, in den Winkeln fast violetten Lider tief über die Augen gesenkt, hat er das junge Mädchen beobachtet. Nun nimmt er den Brief und sagt: »Ich kann doch nicht versprechen, daß ich den Herrn Leutnant finde!«
    »Ach, Sie werden ihn schon finden, Hubert!«
    »Ich kann doch nicht die ganze Nacht herumlaufen, gnädiges Fräulein. Vielleicht kommt er gar nicht? Wann soll ich ihn denn in den Baum stecken?«
    »Wenn Sie den Herrn Leutnant nicht bis zwölf oder eins gefunden haben.«
    »So lange kann ich aber nicht herumlaufen, gnädiges Fräulein, ich brauche meinen Schlaf. Ich werde ihn um zehn in den Baum stecken.«
    »Nein, Hubert, das ist viel zu früh. Jetzt ist es ja schon neun, und wir haben noch nicht gegessen. Vor zehn kommen Sie gar nicht aus dem Haus.«
    »Die Herren Ärzte sagen aber, gnädiges Fräulein, daß der Schlaf vor Mitternacht der gesündeste ist.«
    »Ach, Hubert, sei bloß nicht so albern. Du willst mich nur wieder ärgern.«
    »Ich will doch das gnädige Fräulein nicht ärgern … Mit dem Schlaf ist es doch so. – Und man müßte einmal wissen, was man eigentlich für so was kriegt. Wenn die Herrschaft das erfährt, bin ich entlassen, und auf Zeugnis und Referenz kann ich dann auch nicht rechnen.«
    »Ach, Hubert, wer soll denn das erfahren?! Und was soll ich Ihnen denn geben? Ich habe doch nie Geld!«
    »Es muß ja nicht immer Geld sein, gnädiges Fräulein …«
    Hubert spricht immer leiser, und unwillkürlich paßt Violet ihre Stimme seiner Lautstärke an. Zwischen den einzelnen, verlorenen, leisen Sätzen hört man den in die Nacht hinübergleitenden Sommerabend mit einem Ruf vom Dorfe her, dem Klappern eines Eimers, dem summenden Liebestanz

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