Wolf unter Wölfen
an ihre hübsche, saubere Küche, und wenn die Petra wirklich hier drinnen steckte, tat sie ihr noch dreimal so leid!
»Fräulein Ledig!« schrie Minna in das graue Dunkel, in dem Gestalten hockten und Staub wirbelte, und sie mußte husten.
»Ja?« fragte eine Stimme.
Und dann kam es auf die hustende Minna zu, und es hatte einen blaugrünen Mantel an und sah komisch verändert aus, aber oben darauf saß das alte liebe, klare, einfache Gesicht.
»Gott, Petra, Kind, bist du’s denn wirklich?« sagte Minna und starrte sie an, was sie nur starren konnte.
»Minna!« rief Petra erstaunt und erfreut. »Hast du mich also wirklich gefunden?!«
(Und beide merkten es gar nicht, daß sie sich plötzlich »du« nannten, was sie nie zuvor getan hatten. Aber das ist eben so: es gibt Menschen, die merken erst, wenn sie sich lange nicht gesehen haben, beim Wiedersehen, wie gern sie sich haben.)
»Petra!« rief Minna und fiel natürlich sofort mit der Tür ins Haus. »Wie siehst du denn aus?! Du bist doch nicht –?«
»Doch!« lächelte Petra.
»Wann –?« schrie Minna fast.
»Ich denke, zu Anfang Dezember«, antwortete Petra, wieder lächelnd.
»Aber das muß ich dem Wolfi auf der Stelle schreiben!«
»Das wirst du dem Wolf unter gar keinen Umständen schreiben!«
»Petra!« sagte Minna flehend. »Du bist doch nicht etwa böse mit ihm?«
Petra lächelte nur.
»Du bist doch nicht etwa nachtragend?! Das hätte ich nie von dir gedacht!«
Sie sahen sich eine Weile schweigend an, in der staubigen Lumpenbaracke. Ritsch, ratsch, sortierten die Weiber die Lumpen. Sie sahen einander prüfend ins Gesicht, als müßten sie erkennen, wie sehr sich ein jedes verändert.
»Komm doch raus aus der schlechten Luft, Petra«, bat Minna. »Hier können wir doch nicht reden!«
»Ist er draußen –?« fragte Petra langsam, mit großen Augen. Sie dachte daran, was die Mutter Krupaß einmal gesagt hatte, daß sie laufen würde, wenn er auf der andern Straßenseite stünde. Sie wollte partout nicht laufen.
Minna sah Petra prüfend an; plötzlich wußte sie, es war gar nicht gleichgültig, was sie für eine Schwiegertochter bekamen. Viel Kummer vertrug die alte Frau bestimmt nicht mehr.
»Sollen wir hier stehen und Wurzel schlagen in dem Dreck und Mief?!« rief sie, mit dem Fuß aufstampfend. »Wenn er draußen ist, wird er dich schon nicht beißen.«
Petra wurde erschreckend blaß, man sah es selbst in der dunklen Kabache. Aber sie sagte entschlossen: »Wenn er draußen ist, geh ich nicht raus. Das habe ich versprochen!«
»So, du gehst nicht raus?!« schimpfte Minna. »Das wird ja immer schöner! Du gehst nicht zu dem Vater von deinem Kind?! Wem versprichst du denn solche Sachen –?«
»Ach, sei bloß still, Minna!« schalt Petra, und jetzt stampfte sie mit dem Fuße auf. »Warum schickt er dich denn?! Ich dachte, er wäre ein bißchen anders geworden. Aber so ist er immer gewesen: wenn ihm was unangenehm war, ließ er es andere tun.«
»Du mußt dich nicht so aufregen, Petra«, riet Minna. »Das kann ›ihm‹ nicht gut sein.«
»Ich reg mich nicht die Spur auf!« rief Petra und wurde immer zorniger. »Aber soll man sich da nicht ärgern, wenn er nie und nichts lernt und sich überhaupt nicht ändert?! Und nun ist er also wieder bei euch untergekrochen?! Alles genau so, wie es die Krupaß vorausgesagt hat!«
»Die Krupaß –?« fragte Minna eifersüchtig. »Ist das dieWitwe, die draußen am Zaun angeschrieben steht? Erzählst du der die Geschichten von unserm Wolfi? Das hätte ich nie von dir gedacht, Petra!«
»Einen Menschen muß man haben, mit dem man sprechen kann!« sagte Petra entschieden. »Auf euch konnte ich nicht warten. – Was macht er denn jetzt?« Und sie deutete mit dem Kopf nach draußen.
»Also hast du richtig Angst vor ihm und willst ihn gar nicht sehen?« fragte Minna, entsetzlich böse. »Wo er doch der Vater von deinem Kind ist!«
Aber plötzlich war es, als hätte ein Gedanke allen Zweifel, alle Angst und Sorge der Petra aus dem Gesicht gewischt. Die alten klaren Züge traten wieder hervor, in der bittersten Not bei der Pottmadamm hatte Minna diese Züge nie böse oder weinerlich gesehen. Und es war auch der alte Klang in der Stimme, jawohl, aus ihren Worten läutete wieder das alte Erz, es erklangen die alten Glocken Vertrauen, Liebe, Geduld.
Petra faßte ruhig der Minna zuckende Hand zwischen die ihren und fragte: »Du kennst ihn doch auch, alte Minna, und du hast ihn sogar groß wachsen sehen,
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