Wolf unter Wölfen
sehr jung. Und er ist gewissermaßen jetzt völlig auf der Höhe, er sieht die letzten Wochen richtig strahlend aus. Ich merke das, da wird es ein junges Mädchen doch auch merken!«
»Nicht wahr?« fragte Herr von Studmann vergnügt. »Er hat sich mächtig rausgemacht! Ich bin ganz stolz auf meinen Erfolg! Als er aus Berlin kam, war er ein Wrack, krank, unlustig, faul – fast verdorben. Und jetzt? Sogar die Zuchthäusler strahlen, wenn sie ihn zu sehen kriegen.«
»Und meine Violet auch!« sagte die gnädige Frau trocken. »Sie führen nicht grade einen Beweis für die Ungefährlichkeit des jungen Mannes …«
»Aber, gnädige Frau!« rief Herr von Studmann vorwurfsvoll. »Er ist doch verliebt! So vergnügt und aufgeräumt und mit allem zufrieden ist doch nur ein Verliebter! Das muß man doch sehen – das sehe doch sogar ich vertrockneter Zahlenmensch.« (Er wurde wiederum rot, aber nur wenig, unter ihrem leicht spöttischen Blick.) »Als er hierherkam,hat er gedacht, die Sache wäre aus. Irgend etwas war ihm passiert, er war finster, ohne Leben. Nein, ich habe ihn nach nichts gefragt, ich wollte nicht. Ich halte Gerede über Liebe für unheilvoll, weil …«
Die gnädige Frau räusperte sich mahnend.
»Aber seit einiger Zeit hat sich die Sache wohl wieder eingerenkt, er bekommt und schreibt Briefe, er ist munter wie ein Vogel, er arbeitet mit Lust – er möchte die ganze Welt umarmen!«
»Aber bitte nicht meine Weio!« rief Frau Eva von Prackwitz mit Entschiedenheit.
2
Jawohl, Herr von Studmann hatte recht gesehen: Wolfgang Pagel schrieb und bekam wieder Briefe. Und Herr von Studmann hatte auch darin recht: Wolfgangs neue Lebenslust, seine wiedererwachte Tatkraft hing mit diesen Briefen zusammen, obwohl noch nicht eine Zeile von Petra gekommen, an Petra geschrieben worden war. Trotzdem fröhlich. Trotzdem tatenlustig. Trotzdem alle Welt umarmend. Trotzdem geduldig mit dem Kinde Violet.
Als die alte Minna den ersten Brief des jungen Herrn vom Briefträger in Empfang genommen, als sie die Schrift erkannt, als sie den Absender gelesen hatte, da flogen ihr die Glieder so, daß sie sich erst einmal still auf den Stuhl in der Diele setzen mußte.
Und da wurde sie ganz ruhig und nachdenksam.
Ich darf die alte Frau nicht so erschrecken, dachte sie. Sie ißt nichts mehr, sie trinkt nichts mehr, sie tut nichts mehr, sie sitzt immer nur da und denkt nach. Und wenn sie meint, ich merke es nicht, zieht sie den Zettel aus der Tasche, den er ihr damals hingelegt hat, als er die Sachen heimlich wegholte, auf dem er geschrieben hat, daß er jetzt richtig arbeiten will und daß er nicht eher schreibt, bis er wieder zurecht ist. – Und nun hat er geschrieben!
Sie sah den Brief prüfend, mißtrauisch an.
Aber vielleicht steht doch wieder was Dummes drin, was sie aufregt und noch unglücklicher macht! Minna wurde immer zweifelhafter. Und vielleicht will er wieder nur Geld und sitzt irgendwo fest … Sie drehte den Brief um, aber auf der Rückseite waren bloß die Freimarken. Sie drehte ihn wieder um. Die Schrift ist ganz ordentlich, Wolfi hat schon schlimmer geschrieben. Und auch Tinte, nicht bloß Blei. Nicht so eilig hingekliert, er hat sich Zeit gelassen. Es steht vielleicht doch etwas Gutes darin …
Minna war eine Weile entschlossen gewesen, den Brief heimlich zu öffnen und, wenn gar zu schlimm, von sich aus zu beantworten. Wolfi war ja auch so etwas wie ihr Kind, sie hätte es getan, aber –: Aber wenn es eine Freude ist, soll sie auch zuerst die Freude haben. Ach, es wird schon nichts Schlimmes sein!
Und damit war sie von ihrem Stuhl aufgestanden, Ruhe und Entschlossenheit waren bei ihr eingekehrt. Sie legte den Brief so unter die Zeitung, daß nichts von ihm zu sehen war, und als die gnädige Frau sich unlustig und trübe an den Kaffeetisch gesetzt hatte, verließ Minna gegen alle Gewohnheit ihren Plauderposten unter der Tür, brummelte was von »Markthalle« und verschwand, taub für die Rufe ihrer Herrin. Sie rannte wirklich in die Markthalle auf dem Magdeburger Platz und erstand für neunzig Millionen Mark eine Bachforelle – da würde die gnädige Frau heute mittag endlich wieder mit Appetit essen!
Sie würde es wirklich! Das sah Minna sofort, als sie die Wohnungstür aufschloß. Die Gnädige stand schon auf der Lauer, und ihre Augen funkelten, wie sie in den letzten acht Wochen nicht mehr gefunkelt hatten!
»Alte Gans!« begrüßte sie ihre Getreueste. »Mußt du wirklich weglaufen, daß ich mit
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