Wolf unter Wölfen
nachmittag noch Wilhelm seine Krone an –?! Legen Sie sich man ruhig lang. Wenn ick wäre wie Sie, ick steckte mir nich ’n halben Nachmittag bei die Lumpen!«
»Na schön, Herr Randolf«, sagte Petra vergnügt. »Es ist auch mein erster Besuch in dem Vierteljahr.«
Und damit gingen die beiden hinauf in die kleine Wohnung der Mutter Krupaß, und sie setzten sich hin und redeten und erzählten. Und nach einer Weile legte sich Petradann wirklich lang, aber sie redeten und erzählten weiter. Als aber die Zeit für Minna gekommen war, heimzugehen, um ihrer Gnädigen das Abendessen zu machen, wurde Minna verwegen, und sie tat, was sie seit urdenklichen Zeiten nicht getan hatte: Sie ging ans Telefon und sagte an, sie käme nicht und der Schlüssel zur Speisekammer liege im rechten Fach vom Küchenbüfett hinter den Löffeln und der Schlüssel zum rechten Fach stecke in der Tasche von ihrer blauen Schürze, die bei den Geschirrhandtüchern hänge. Und ehe Frau Pagel diese klare Weisung noch ganz erfaßt hatte, hing Minna schon ab: »Denn sonst quetscht sie mich ja doch schon am Telefon aus, und sie kann auch mal warten. Und nun erzähle mir weiter von deiner Mutter Krupaß – klaut Hemdenknöpfe und hat doch ein gutes Herz. So was steht auch nicht im Katechismus und in der Bibel. Wie lange hat sie, sagst du –?«
»Vier Monate – und das paßt grade, als hätten die’s auf dem Gericht gewußt. Denn Anfang Dezember komme ich zu liegen, und Ende November kommt sie heraus. Sie hat’s auch gleich angenommen, ihr Anwalt, der Herr Killich, hat gesagt, sie soll froh sein. Aber ein Jammer ist es doch, wenn so ’ne alte Frau vor den Richtern steht, ich hab’s mit angesehen. Und der Richter hat sie auch mächtig runtergeputzt, und sie hat immerzu geweint, ganz wie ein Kind, die alte Frau …«
Es war wirklich halb elf Uhr nachts geworden, ehe Minna nach Haus kam. Sie hatte wohl das Licht im Zimmer ihrer Gnädigen gesehen, aber sie dachte: Warte du man! und schlich leise in ihre Kammer. Aber doch nicht leise genug für die Ohren von Frau Pagel. Denn die rief ganz lebhaft durch die Tür: »Sind Sie das, Minna? Na, Gott sei Dank, ich dachte schon, Sie legten sich auf Ihre alten Tage noch aufs Nachtleben.«
»Das wird wohl so sein, gnä’ Frau«, sagte Minna brav. Und dann ganz scheinheilig: »Haben gnädige Frau sonst noch Wünsche?«
»I du falsche Katze!« rief die gnädige Frau entrüstet. »Tust du so, als wenn du nicht wüßtest, was mich juckt?! Was hast du ausgerichtet –?«
»Ach, nichts Besonderes«, sagte Minna gelangweilt. »Bloß, daß gnä’ Frau demnächst Großmutter werden!«
Und damit fuhr Minna mit einer Geschwindigkeit, die man dem alten knochigen Besen nie zugetraut hätte, in ihre Küche, und von der Küche in ihre Kammer, und die Kammertür schloß sie so geräuschvoll, daß klar wurde: heute abend war die Sprechstunde aus!
»I du Donner!« sagte die alte Gnädige, rieb sich energisch die Nase und sah träumerisch die Teppichstelle an, auf der eben noch ihr Hausdrache gestanden. »Kommst du mir so?! Großmutter! Eben noch verwaiste Frau ohne allen Anhang, und nun plötzlich Großmutter … Nein, die Arznei schlucken wir noch nicht, wenn du sie mir auch noch so gerissen eingibst, du alter rachgieriger Teufel, du!«
Damit schüttelte Frau Pagel ihre Faust in dem leeren Flur und zog sich zurück in ihre Gemächer. Schlecht bekommen aber mußte ihr die Nachricht doch nicht sein, denn sie schlief so fest und so rasch ein, daß sie nicht mehr hörte, wie die Minna noch einmal aus dem Hause schlich, einen Brief in der Hand, den sie sogar noch ganz bis zum Postamt trug – und es war doch nun schon nach Mitternacht!
Und dieser Brief wurde der Anfang jenes Briefwechsels mit Neulohe, der aus Wolfgang Pagel einen jungen Mann machte, der, nach Herrn Studmanns Worten, die Welt zu umarmen schien, und das, obwohl nicht eine Zeile von Petra Ledig dabei war –!
3
Wenn Wolfgang Pagel allein zu den Zuchthäuslern radelte und wenn Violet von Prackwitz sich ohne Widerspruch darein fügte, obwohl ihr ein Vormittag mit dem jungen Mann lieber gewesen wäre, so waltete hier ein höherer Wille, demalle in Neulohe sich zu fügen hatten: der des Oberwachtmeisters Marofke. Dieser lächerliche, kleine, eitle Mann mit Spitzbauch machte nicht nur die Gesichter seiner Zuchthäusler griesgrämig. Wenn er mit irgendeinem seiner nie aufhörenden Wünsche das Gutsbüro betrat, stöhnte Frau von Prackwitz: »Ach du lieber
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