Wolf unter Wölfen
und du weißt, daß man ihm nicht böse sein kann, wenn man ihn kommen sieht und wenn er so lacht und seine Witze mit uns armen Weiberchen macht … Daß einem das Herz dann gleich fortfliegt und daß man immerzu glücklich ist und an nichts mehr denkt, was er einem vielleicht mal angetan hat …«
»Das weiß Gott!« sagte Minna.
»Aber, Minna, jetzt wird er doch ein Vater sein müssen und an andere denken. Es soll doch nicht nur sein, daß alle strahlen, wenn er da ist, sondern er soll Sorgen mit tragen helfen und arbeiten und auch einmal ein ärgerliches Gesicht vertragen, ohne gleich für einen halben Tag auszureißen. Und die Krupaß hat recht, und hundertmal hab ich es in diesen Wochen gedacht: Er muß erst einmal ein Mann werden, ehe er ein Vater sein kann. Jetzt ist er doch bloß unser aller verzogenes Kind …«
»Da hast du recht, Petra, das weiß Gott«, stimmte Minna zu.
»Und wenn ich noch hier mit dir stehe und abwechselnd am ganzen Leib heiß und kalt werde, so ist es doch nicht, weil ich auf ihn böse bin oder ihm etwas nachtrage oder ihn strafen will! Wenn er hier reinkäme, Minna, und gäbe mir die Hand und lächelte mich an auf seine alte Art – ach, ich weiß mir ja gar nichts Besseres, als ihm um den Hals zu fliegen. Ich wäre ja so glücklich! Aber, Minna«, sagte Petra sehr ernsthaft, »es darf doch nicht sein, ich habe es doch jetzt eingesehen, ich darf es ihm doch nicht immer wieder so leicht machen! In der ersten Stunde wäre es wunderschön, aber schon in der nächsten Stunde dächte ich: Soll denn mein Kind solch einen verwöhnten Liebling zum Vater haben, vor dem ich keinen rechten Respekt habe?! Nein, Minna, und tausendmal nein! Und wenn ich hier einen Tag und eine Nacht in der Lumpenbaracke sitzen soll und wenn ich auch von hier wieder fortlaufen soll, fortlaufen vor ihm und vor meiner eigenen Schwäche –: Ich habe es der Krupaß und mir fest versprochen: er soll erst etwas sein. Und wenn es nur ein ganz bißchen ist; und vor einem halben Jahr will ich ihn überhaupt nicht wiedersehen …«
Sie hielt einen Augenblick inne, dachte nach und sagte traurig: »Aber nun ist er ja doch wieder bei euch alten Frauen untergekrochen, der junge Mensch!«
»Aber nein, Peterchen!« rief die alte Minna sehr vergnügt. »Was bildest du dir denn ein?! Gar nicht ist er das!«
»Jetzt lügst du aber, Minna«, sagte Petra und löste ihren Arm aus dem der andern. »Du hast es doch selber gesagt!«
»Gar nichts habe ich davon gesagt! Nein, komm jetzt nur mit raus. Ich habe genug von euerm Gestank und Staub …«
»Ich gehe nicht heraus. Ich gehe nicht zu ihm!« rief Petra und wehrte sich kräftig.
»Aber er steht ja gar nicht draußen! Das bildest du dir doch nur ein!«
»Du hast es selbst gesagt, Minna – bitte, laß uns hierbleiben!«
»Ich hab gesagt, ich will ihm schreiben, daß du ein Kindchenerwartest –: Wie kann ich ihm denn schreiben müssen, wenn er draußen steht! Du hast dir alles bloß eingeredet, Petra, weil du die Angst hast, die Angst vor deinem eigenen Herzen und die Angst um das Kind. Und weil du Angst hast, darum ist alles gut. Und jetzt soll mir nur einer kommen, die Gnädige oder sonst einer, und ein Wort über dich sprechen – ich weiß Bescheid! Und ich bin froh, daß du so geredet hast, denn nun weiß ich auch, was ich ihm schreiben muß, nicht zuviel und nicht zuwenig. Aber jetzt laß dir eine Stunde freigeben und komm mit mir, es wird ja hier in eurer Gegend so etwas geben wie ein Café, und du erzählst mir alles, und ich erzähle dir alles. Den Brief von ihm habe ich meiner Gnädigen auch für dich stibitzt, und sie hat kein Wort gesagt, trotzdem sie es gut gesehen hat. Aber du mußt ihn mir wiedergeben, du kannst ihn dir ja schnell abschreiben – wo gehen wir also hin? Und bekommst du auch frei?«
»Ach, Minna!« sagte Petra übermütig. »Wie soll ich denn nicht freibekommen –? Ich gebe mir ja selber frei! Denn alles, was du hier siehst«, und sie trat mit Minna auf die Schwelle des Schuppens, »alles, die Lumpen und das Papier und das Alteisen und die Flaschen – das steht unter meinem Kommando, und die Leute, die hier arbeiten, natürlich auch. Herr Randolf«, sagte sie freundlich zu einem alten Mann mit Seehundsbart, »ich gehe mit meiner Freundin ein bißchen rauf zu mir. Wenn was Besonderes ist, brauchen Sie mich nur zu rufen.«
»Wat soll denn Besonderes sind, Frollein?« fragte der alte Mann kollerig. »Jlooben Sie, die rollen uns hier heute
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