Wolf unter Wölfen
Gott!«, und Herr von Studmann legte seine Stirn in ärgerliche Falten. Die Kollegen, die Wachtmeister und Hilfswachtmeister, schimpften über den Kollegen – aber leise; die Mädchen in der Küche schimpften über den »eingebildeten Hanswurst« – und sehr laut.
Immer hatte Marofke Ausstellungen, ewig war ihm etwas nicht recht. Jetzt war das Hammelfleisch im Essen für die Gefangenen zu fett, nun war das Schweinefleisch zu spärlich. Seit drei Wochen hatte es keine Erbsen gegeben, aber zweimal in der Woche war Weißkohl gekocht worden. Die Leute kamen nicht rechtzeitig von der Arbeit, und das Essen war nicht rechtzeitig fertig. Dies Fenster mußte zugemauert werden: die Gefangenen konnten sonst in ein Zimmer sehen, das Mädchen bewohnten. Es war unzulässig, daß das Klo neben der Schnitterkaserne auch von den Leuten aus dem Dorf benutzt wurde, zum Beispiel von Frauenzimmern. Es war ebenso unzulässig, daß sich Frauen in der Nähe der arbeitenden Kolonne sehen ließen, das konnte die Leute aufregen.
Es riß nicht ab, es hörte nie auf! Dabei machte dieser infame Speckjäger sich selbst das Leben verdammt leicht. Die Überwachung der Kolonne überließ er meistens seinen Untergebenen, den vier Wachtmeistern. Er saß fast den ganzen Tag in seiner Kaserne, füllte mit wichtigtuerischer, eitler Miene Listen aus oder schrieb Berichte an die Zuchthausverwaltung, oder er schritt ruhelos in den Räumen der Kaserne umher, riß jedes Bett auseinander, durchsuchte es. Ein Löffelstiel, aus dem ein Gefangener sich einen Pfeifenreiniger gemacht hatte, rief sein intensivstes Nachdenken hervor: Was sollte nun dieses wohl wieder bedeuten? Gewiß, ein Pfeifenkratzer, aber wer sich einen Pfeifenkratzer macht, kann sichauch einen Dietrich machen! Und er revidierte alle Schlösser, die Gitterstäbe und die Stellen, an denen die Gitterstäbe in der Wand festsaßen. Dann strich er zum Klohäuschen, hob die Klappen hinten hoch und prüfte, ob nur Klopapier oder ob vielleicht doch zerrissene Fetzen eines Briefes da unten lagen.
Aber die meiste Zeit saß er auf der Bank vor der Schnitterkaserne, mitten in der Sonne, drehte die Daumen über dem fetten Bauch, hatte die Augen halb geschlossen und dachte nach. Die Leute, die ihn da so behaglich-verschlafen sitzen sahen, lachten verächtlich über ihn. Denn auf dem Lande ist es eine Schande für einen gesunden Mann, in der Erntezeit faul dazusitzen. Jeder wird gebraucht, es gibt nie genug Arme.
Aber es muß zugegeben werden, daß der Herr Oberwachtmeister Marofke nicht irgendwie träumerisch-versonnen in der Sonne saß: er dachte wirklich nach. Er dachte ununterbrochen über seine fünfzig Gefangenen nach. Er erinnerte sich ihrer Vorstrafen, ihrer Straftaten, ihres Alters, ihrer Beziehungen zur Welt, ihrer Reststrafen. Mann für Mann prüfte er ihre Charaktere, er dachte an Vorkommnisse im Zuchthaus, winzige Ereignisse, die aber doch grell zeigten, wessen ein Mann fähig war. Wenn die Leute aßen, ruhten, plauderten, schliefen, beobachtete er sie ununterbrochen. Er achtete darauf, wer mit wem redete, auf Freundschaften, auf Abneigungen. Und als Ergebnis seiner Überlegungen und Beobachtungen gab es ständig Verlegungen, Feinde wurden zusammengebracht, Freundschaften auseinandergerissen. Die einander widerlich waren, mußten in den Betten nebeneinander schlafen. Marofke änderte die Tischrunde ständig, er bestimmte, wer neben wem gehen durfte, wer allein arbeiten mußte, wen die Beamten ständig im Auge zu behalten hatten.
Die Gefangenen haßten ihren Marofke wie die Pest; die Beamten, denen er endlose Scherereien machte, fluchten hinter seinem Rücken über ihn. Bei dem geringsten Widerspruch lief Marofke krebsrot an, sein dicker Bauch wackelte, es zitterten seine hängenden Hamsterbacken, er schrie: »Ichmache Sie verantwortlich, Wachtmeister! Sie haben einen Eid geschworen, Ihre Pflicht zu tun!«
Studmann sagte geekelt: »Es gibt eben solche Meckerköppe! Am besten läßt man sie laufen! Denen würde sogar der liebe Gott nichts recht machen!«
Pagel sah Herrn von Studmann an und widersprach: »Nein! Diesmal irren Sie sich. Das ist ein ganz schlauer Fuchs. Und tüchtig!«
»Ich bitte Sie, Pagel!« hatte Studmann ärgerlich gesagt. »Haben Sie den Mann schon je regelrecht Dienst tun sehen wie seine Kollegen? Jawohl, in der Sonne sitzen und sich neue Meckereien ausdenken, das kann er! Leider habe ich dem Kerl nichts zu befehlen, er untersteht nur der Zuchthausverwaltung, aber Sie
Weitere Kostenlose Bücher