Wolf unter Wölfen
in den Wartesaal führen, gedankenvoll setzte er sich hin, gab dem Manne Geld und bestellte sich einen Kaffee. Was ihn jetzt beschäftigte, war nicht mehr der Putsch mit dem Major Rückert und dem unhöflichen Leutnant. Diese Sache war abgemacht und erledigt; er würde übermorgen um sechs Uhr in Ostade sein. Das würde schon klappen, darüber gab es überhaupt keinen Gedanken, er war ja nicht der übervorsichtige, listenreiche Geheimrat Horst-Heinz von Teschow, er war der Rittmeister von Prackwitz! Und wenn dem ein Kamerad sagte: Mach mit!, so machte er mit, ohne Fragerei. Er hatte wenig gehört, aber er hatte genug gehört, Reichswehr und Schwarze Reichswehr machten mit, altes und junges Militär also – und es ging gegen die Regierung, die das Schweinegeld druckte, den Ruhrkampf aufgegeben hatte und sich mit den Franzosen »einigen« wollte – über alle diese Dinge brauchte man nicht nachzudenken, sie waren in Ordnung!
Worüber der Rittmeister nachdachte, während er gedankenverloren in seinem Kaffee rührte, das war sein Auto! Natürlich war es schon »sein« Auto, obwohl er noch nicht einmal wußte, wie es aussehen sollte. Aber er hatte sich schon zu lange ein Auto gewünscht! Es war nur immer kein Geld dafür dagewesen – und jetzt war ja eigentlich auch kein Geld da, im Gegenteil, er fuhr nach Neulohe, um zu dem schwierigen Pachtzahlungstermin am ersten Oktober, also übermorgen, zur Stelle zu sein. Der Rittmeister war wie ein Kind: Wenn ein Kind es zehnmal fertiggebracht hat, sich nicht die Schuhe und Strümpfe auszuziehen und im Wasser zu planschen, dann braucht beim elftenmal der Junge von nebenan nur zu sagen: »Ach, heute ist’s doch warm!« – schon ist das Kind barbeinig und planscht, gegen alle Verbote. Der Major hatte gesagt, der Rittmeister müsse sich ein Auto kaufen; das Geld war noch immer knapp, es war knapper als je, das Auto sollte sofort ein gefährliches Abenteuerbestehen – aber an all das dachte der Rittmeister gar nicht. Er dachte nicht einmal mehr an den Putsch und die zu stürzende Regierung, er dachte nur daran, daß er sich nun ein Auto kaufen
durfte
! Dieser Putsch war eine großartige Sache, er verschaffte ihm ein Auto!
Der Rittmeister ging in Gedanken alle Wagen seiner Freunde und Bekannten durch, er schwankte zwischen Mercedes und Horch. Die billigeren Wagen kamen nicht in Frage; wenn man schon einen Wagen hat, darf man nicht so einen haben wie irgendein Landarzt. Der Wagen muß schon nach etwas aussehen, und wenn man doch einmal auf Kredit kauft, kommt es auf ein bißchen mehr oder weniger nicht an … Nein, auch das Auto war nicht schwierig, schwierig war nur, wo er so schnell einen Chauffeur herbekam, einen Chauffeur, der anständig fahren konnte und der hinter dem Steuer wiederum auch nach etwas aussah, sonst saß man ja doch nur mit halbem Vergnügen auf den Polstern! Schnell mußte es gehen, denn in zwei, drei Stunden spätestens wollte er im eigenen Wagen unterwegs nach Neulohe sein … Und dann war da die Sache mit der Garage – wo richtete man in Neulohe am schlauesten eine Garage ein, recht nahe bei der Villa?
Der Rittmeister ist vollständig in seine Gedanken versponnen. Er ähnelt außerordentlich jenem Rittmeister, der vor einigen Monaten am Spieltisch eines verbotenen Klubs saß und der vor lauter Eifer, nur ja keinen Einsatz zu versäumen, nicht dazu kam, die Spielregeln zu lernen. Der Rittmeister kennt das Spiel wieder einmal nicht, aber er setzt feste, immer weiter, über seine Kräfte – man könnte ja so ’ne Wellblechgarage kaufen, aber die Dinger sehen rein nach gar nichts aus …
»Ach, Herr Rittmeister!« sagt die flehende Stimme am Nebentisch des Wartesaals nun schon zum drittenmal.
»Nanu!« fährt der Rittmeister aus seinen Plänen und Träumen hoch und starrt den Förster Kniebusch, der da in seiner Galauniform hinter einem kleinen Hellen sitzt, überraschtan. »Was machen Sie denn hier in Frankfurt, Kniebusch?«
»Aber ich habe doch Termin, Herr Rittmeister!« sagt der Förster vorwurfsvoll. »In meiner Sache mit dem Bäumer!«
»Na also!« nickt der Rittmeister anerkennend. »Gut, daß der Lump endlich verknackt wird! Was, glauben Sie denn, wird er abkriegen?«
»Aber, Herr Rittmeister!« fleht der Förster förmlich. »Ich bin doch der Angeklagte! Mich wollen sie doch verdonnern! Ich soll ihn doch körperlich verletzt haben!«
»Ist diese Schweinerei denn noch immer nicht erledigt?!« sagt der Rittmeister verblüfft. »Darüber hat
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