Wolf unter Wölfen
breiten schwarzen Bande hängenden Einglases und des Hohenzollern im Knopfloch bedurft. Der Herr hob einen schweren, langsamen, durch endlose Erfahrung vorsichtig gewordenen Blick zu den beiden. Das sehr weiße, dünnhäutige Gesicht schien ohne Zwischenlage von Fleisch auf den Knochen aufzusitzen. Das spärlich gewordene, aber noch immer blaßblonde Haar war in langen Strähnen vorsichtig über den Kopf gelegt, trotzdem schimmerte die weiße Haut pergamenten hindurch. Am stärksten fiel an diesem nur notdürftig verkleideten Totenkopf der Mund auf, ein Mund ohne Lippen, wie ein schmaler Strich, dem Schlitz eines Automateneinwurfs vergleichbar – ein Mund, der alle Bitterkeiten geschmeckt zu haben schien.
Den Mann muß ich schon gesehen haben! schoß es dem Rittmeister durch den Kopf, und er überschlug im Geist rasch die Bildseiten der illustrierten Blätter, die ihm in den letzten Wochen vor Augen gekommen waren.
Der verkleidete Offizier hatte mit einer dünnfingrigen, leicht zitternden Kinderhand das Einglas zum Auge geführt. Einen Moment fühlte sich der Rittmeister angesehen, erwollte sich schon vorstellen, als der Blick weiterging zu dem jungen Leutnant.
»Herr Rittergutspächter von Prackwitz-Neulohe, Rittmeister a. D.«, meldete der Leutnant eilig. Man spürte, welchen Ruck ihm dieser Blick gegeben hatte.
»Angenehm«, sagte der andere, nannte aber seinerseits keinen Namen, was den Rittmeister gar nicht störte. Denn er wußte ja, es war eigentlich seine Pflicht, diesen hohen Offizier zu kennen. Das Einglas fiel aus dem Auge, die Mumie sagte: »Aber setzen wir uns doch! Gute Ernte gehabt –?«
Der Rittmeister wie der Leutnant setzten sich dem Sitzenden gegenüber; es war, als müßte man diesen kalten, leblosen Blick immer auf sich spüren, als würde er erst dann ganz unerträglich, wenn er einen ansehen konnte und man wußte es nicht.
»Doch, die Ernte ist nicht ganz schlecht«, antwortete der Rittmeister mit jener unter Landwirten üblichen Vorsicht, die das Lob einer Ernte zur Herausforderung des Himmels macht. Und er setzte hinzu: »Ich war die letzten Wochen nicht in Neulohe.«
»Herr von Prackwitz ist der Schwiegersohn Herrn von Teschows«, erklärte der Leutnant.
»Begreiflich«, sagte das Gespenst rätselhaft. Es blieb unbegreiflich, worauf sich dieses »Begreiflich« bezog, ob auf die Abwesenheit von Neulohe oder auf das verwandtschaftliche Verhältnis. Oder auch auf die Ernte.
Der Leutnant, dessen Name – dem Rittmeister fiel es eben ein – auch noch nicht genannt worden war, half wieder: »Herr von Prackwitz ist der Pächter seines Schwiegervaters.«
»Tüchtiger Mann«, sagte der Mann mit dem Einglas. »Hat mich die letzte Zeit ein paarmal besucht. Sie wissen davon –?«
Der Rittmeister wußte nichts davon. Er konnte sich nicht denken, was sein lodener Schwiegervater mit diesem pergamentenen Militär zu tun haben sollte.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte er verwirrt. »Wie gesagt, ich war verreist.«
»Tüchtig«, knarrte der andere wieder. »Gehört zu den Leuten, die immer erst zahlen wollen, wenn sie die Ware in der Hand halten – verwandtschaftliche Gefühle verletzt?«
»Aber nein!« protestierte der Rittmeister. »Ich habe auch ständig Schwierigkeiten …«
»Wer mitfahren will«, verkündete der Offizier mit einer ganz unbegreiflichen, durch kein Wort der Unterhaltung gerechtfertigten Bitterkeit, »muß Karte vorher lösen. Weiß vielleicht nicht mal, wohin die Reise geht – verstanden?«
Der Rittmeister hatte nicht verstanden, aber er nickte tiefsinnig mit dem Kopf …
Der Fremde, auf dessen Namen er nicht kam, sah den Leutnant an. Der Leutnant erwiderte den Blick, aber ohne ein Zeichen der Bejahung …
»Stelle mir vor«, sagte der Offizier trotzdem, »Sie haben ein Auto …«
»Ich habe keines«, erklärte der Rittmeister. »Aber ich will mir eins kaufen …«
»Heute? Morgen?«
»Jedenfalls in allernächster Zeit …«
»Heute oder morgen, sonst hat’s keinen Sinn«, sagte der Offizier mit Hartnäckigkeit, griff aber schon wieder nach seiner Zeitung.
»Ich weiß nicht«, meinte der Rittmeister zögernd. – Sollte dieser Einglasmann Vertreter einer Autofabrik sein? – »Eine immerhin erhebliche Summe … Ich weiß nicht, ob das Geld …«
»Geld –?!« rief der andere verächtlich und knitterte sehr mit der Zeitung. »Seit wann bezahlt man für Autos Geld –? Wechsel!« Und er verschwand hinter seiner Zeitung.
Diesmal half der junge Leutnant nicht
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