Wolf unter Wölfen
Rittmeister tippte dem Chauffeur mit einem Finger auf den Rücken: »Jetzt gradeaus – ja, das helle Haus, vorne rechts …« Dann: »Nachher! – Es ist ein Horchwagen, merkst du, wie sanft er fährt? Er braucht nur zwanzig Liter Brennstoff auf hundert Kilometer, nein, dreißig … das habe ich nun doch vergessen, es ist aber auch egal …«
Der Wagen fuhr hupend bei der Villa vor.
»Hier muß eine Auffahrt hin«, sagte der Rittmeister gedankenverloren.
»Was?!« fuhr Frau Eva hoch. »Für die paar Tage! Ich denke, du hast den Wagen nur für ein paar Tage gemietet.«
Aus dem Hause kam Violet gelaufen.
»Oh, Papa, Papa! Bist du wieder da?!« Sie umfing ihren Vater, er konnte gar nicht schnell genug aus dem Auto kommen. »Hast du das Auto gekauft? Ist das schneidig! Wie heißt es? Wie schnell kann man damit fahren? Hast du auch fahren gelernt? Laß mich mal sitzen, Mama …«
»Siehst du!« sprach der Rittmeister vorwurfsvoll zu seiner Frau. »Das nenne ich Freude! – Violet, sei so gut, bringe Herrn Finger zu Hubert. Er soll vorläufig das kleine Fremdenzimmer im Giebel haben. – Der Wagen kann erst einmal hier stehenbleiben. – Bitte, Eva.«
»Also, Achim«, sagte Frau Eva und war wirklich erregt. »Erkläre mir nun bitte, was dies alles heißen soll …« Sie setzte sich und sah ihn unmutig an.
Je schlechter das Gewissen des Rittmeisters war, um soliebenswürdiger konnte er sein. Er, der nicht ein gereiztes, auch nur hastiges Wort in seiner Umgebung ertragen mochte, war jetzt die Sanftmut selbst bei der üblen Laune seiner Frau. Aber grade dies machte den Fall für Frau Eva um so bedenklicher.
»Was das heißen soll?« fragte er lächelnd. »Übrigens haben wir uns noch gar nicht richtig guten Tag gesagt, Eva. Im Büro starrte dich ewig der Schulmeister an.«
»Herr von Studmann! Ja, er sieht mich gerne an, und er ist nie unhöflich. Er schreit auch nicht …« Frau Evas Augen funkelten gefährlich.
Der Rittmeister hielt es für besser, im Moment nicht auf einer zärtlichen Begrüßung des wiedervereinten Ehepaares zu bestehen. »Ich schreie jetzt auch gar nicht mehr«, sagte er lächelnd. »Ich habe seit Wochen nicht mehr geschrien. Ich habe mich überhaupt glänzend erholt …«
»Und warum kommst du so plötzlich?«
»Ja, siehst du, Eva«, sagte der Rittmeister. »Ich ahnte ja nicht, daß ich dich hier stören würde. Mir fiel plötzlich ein, daß der erste Oktober ja immerhin ein wichtiger Tag ist; ich dachte, ihr könntet mich vielleicht hier brauchen –?«
Es klang sehr liebenswürdig und sehr bescheiden, aber grade darum mißfiel es der Frau.
»Keinerlei Ankündigung –« sagte Frau Eva. »Du hast dich sehr plötzlich auf diesen ersten Oktober besonnen –?«
»Ach, weißt du«, sagte er, ein wenig ärgerlich. »Ich bin ja nie sehr für Schreiben gewesen, und dann gab es da einen kleinen Ärger … Dieser Baron von Bergen, du erinnerst dich, der Studmann reingelegt hat, nun gut, er hat mich auch eingeseift. – Nicht schlimm, ein paar Mark. Aber er riß aus damit, und der Sanitätsrat regte sich schrecklich darüber auf …«
»Und da besannst du dich auf den ersten Oktober, ich verstehe«, sagte Frau von Prackwitz trocken.
Der Rittmeister machte eine wütende Bewegung.
Rasch stand sie auf, sie faßte ihn an den Aufschlägen seines Rockes, sie schüttelte ihn sanft. »Ach, Achim, Achim!«rief sie traurig. »Wenn du dir doch nur nicht immer selbst etwas vormachen wolltest! Das geht nun schon so viele Jahre, und immer denke ich: Jetzt hat er was gelernt, jetzt wird er anders – und ewig, ewig ist es dasselbe!«
»Was mache ich mir denn vor?« fragte er verdrießlich. »Bitte, Eva, laß meinen Rock los. Er ist ganz frisch gebügelt.«
»Verzeih … Was du dir vormachst –? Nun, Achim, du bist dort einfach weggeschickt worden, wegen irgendeiner Torheit oder Unüberlegtheit. Und weil es dir peinlich war, mir das zu gestehen, und weil dir im Zuge hierher eingefallen ist, daß am ersten Oktober die Pacht fällig wird – darum machst du dir und mir nun blauen Dunst vor …«
»Wenn du’s so auslegst«, sagte er gekränkt. »Also, bitte, ich bin dort weggeschickt worden und bin nun hier. Oder soll ich nicht hiersein –?«
»Aber, Achim, wenn es nicht so ist, sage doch ein Wort! Wie denkst du dir denn deine Hilfe? Willst du das Geld beschaffen? Hast du irgendwelche Pläne? Du weißt doch, daß Papa zur Bedingung gemacht hat, daß du erst einmal längere Zeit wegbleibst, und du
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