Wolf unter Wölfen
Frau«, erklärte Studmann nach einer Pause. »Es würde eine persönliche Verpflichtung des Ehepaars von Prackwitz sein, nicht der Gutsverwaltung Neulohe. Sie würden die tausend Zentner Korn liefern müssen, wenn – wo Sie auch wären.«
Wiederum eine Pause, eine lange Pause.
Dann bewegte sich Frau von Prackwitz, sie sagte lebhaft: »Schließen Sie ab, Herr von Studmann. Schließen Sie auf diese Gefahr hin ab.« Sie schloß die Augen, sie war eine schöne, volle, weiße Frau, sie zog sich in sich zusammen. Sie war wie eine Katze, eine Katze, die sich wohl fühlt, eine Katze auf der Mäusejagd. Sie sagte lächelnd: »Wenn
wir
bis Dezember die Pachtung verlieren, wird mein Vater
mich
nicht sitzenlassen.
Ich
werde dann die Pachtung übernehmen und die tausend Zentner liefern …«
Studmann sitzt hölzern da. Eine unerhörte Kunde ist an sein Ohr gedrungen – diese Frauen!
Frau von Prackwitz lächelt. Sie lächelt nicht etwa Herrn von Studmann an, sondern irgend etwas Imaginäres zwischen Ofen und Gesetzregal. Sie sagt und streckt ihm die Hand hin: »Und ich rechne darauf, daß Sie mich dann auch nicht sitzenlassen, Herr von Studmann?«
Studmann starrt die Hand fassungslos an. Es ist eine volle, aber sehr weiße Frauenhand mit ein wenig zuviel Ringen.Ihm ist ganz, als habe er einen Schlag vor den Kopf bekommen. Was hat sie gesagt? Unmöglich, sie kann es nicht so gemeint haben! Er ist ein Esel …
»Esel!« sagte sie mit einer tiefen, vollen, warmen Stimme. Einen Augenblick berührt die Hand seine Lippen. Er fühlt ihre frische Weichheit, er spürt den Duft, nicht nur von einem Parfüm, nein, von etwas Lebendigem, Blühendem, das sich immer wieder erfüllen will. Er sieht auf, sehr rot. Er müßte ja überlegen, es ist eine schwierige Lage, Prackwitz immerhin sein langjähriger Freund …
Er begegnet ihrem Blick, der in einer Mischung von überlegenem Spott und Zärtlichkeit auf ihm liegt …
»Liebe, gnädige Frau …«, sagt er verwirrt.
»Ja, richtig«, lächelt sie, »was ich Sie schon immer fragen wollte: Wie ist eigentlich Ihr Vorname?«
»Mein Vorname? Ja, das ist so eine Sache … ich mache eigentlich keinen Gebrauch davon. Ich heiße nämlich Etzel …«
»Etzel –? Etzel –?! War das nicht –?«
»Richtig!« erläuterte er eilig. »Attila oder Etzel, ein Hunnenfürst, der mit seinen Mongolenscharen raubend und mordend in Europa einbrach. Etwa 450 nach Christi Geburt. Schlacht auf den Katalaunischen Gefilden. ›Wildheit war ihm ebenso eigen wie Würde und Ernst!‹ Aber, wie gesagt, ich mache keinen Gebrauch davon. Es ist so eine Familientradition.«
»Nein, Etzel ist völlig unmöglich, Papa hatte ja seinen Ganter Attila genannt«, sagt sie. »Und wie nannten Sie Ihre Freunde? Prackwitz sagt immer nur Studmann.«
»Wie alle andern auch.« Er seufzt. »Ich eigne mich wohl nicht für familiären Umgang.« Er wird etwas rot. »Manchmal hieß ich noch das Kindermädchen. Und beim Regiment wurde ich Muttchen genannt.«
»Studmann, Kindermädchen, Muttchen …« Sie schüttelt ärgerlich den Kopf. »Sie sind wirklich ein unmöglicher Mensch, Herr von Studmann, nein, ich muß etwas anderes finden …«
»Aber liebe, gnädige Frau!« ruft Herr von Studmann begeistertaus. »Meinen Sie es denn wirklich? Ich bin doch so ein langweiliger Kerl, ein Pedant, ein Umstandskommissar – und Sie …«
»Still«, mahnt sie und schüttelt den Kopf. »Abwarten! Vergessen Sie nicht, Herr von Studmann, ich habe Sie vorläufig nur nach Ihrem Vornamen gefragt … sonst nichts.« Sie macht eine Pause. Sie stützt den Kopf in die Hand, leise klingeln die Armbänder. Sie seufzt. Sie macht den entzückendsten Ansatz zum Gähnen. Sie ist völlig die Katze, die sich putzt, streckt, alles tut und nur nicht den Spatz ansieht, den sie gleich verschlingen wird. »Und dann wäre da noch das Auto …«
»Welches Auto –?« Er ist schon wieder verwirrt, ihre Übergänge sind heute für einen nüchtern denkenden Mann zu plötzlich.
Sie deutet mit dem Finger aus dem Fenster, aber draußen steht kein Auto.
Trotzdem hat er verstanden. »Ach so, das Auto! Was ist damit?«
Sie hat jetzt einen kalten, gezwungenen Ton, als sie sagt: »Er hat es gekauft.«
»Ja?« Er überlegt. »Wie teuer?«
»Siebzehntausend.«
Studmann macht eine Gebärde der Verzweiflung. »Völlig ausgeschlossen!« flüstert er dann.
»Und auf Stottern?«
»Auch dann!«
»Hören Sie, Herr von Studmann«, sagt sie lebhafter, aber immer noch in dem
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