Wolf unter Wölfen
geliebt habe! Was habe ich denn gesehen –?! Eine so lange Zeit!
Eine endlose Zahl von Bildern schwirrte vorüber, Erinnerungen an ehemals, als sie geheiratet hatte. Der junge Leutnant; der Oberleutnant; ein Ruf aus dem Garten; sein reizend-törichtes Verhalten bei der Geburt von Violet; die erste angesäuselte Heimkehr vom Liebesmahl; ein Sommerfest in der kleinen Garnison – sie hatten Stellung und Ruf gefährdet, als ein übermächtiges, ganz plötzliches Liebesverlangen die beiden Eheleute im von Gästen durchwimmelten Parkvereinte; die Entdeckung seiner ersten grauen Haare – er fing schon mit seinem dreißigsten Jahre an, grau zu werden –, ein Geheimnis, das sie allein wußte; seine Liebelei mit der Armgard von Burkhard; wie er ihr einen Korb Delikatessen von Borchardt mitbrachte, und sie wußte plötzlich, nun war endgültig vorbei, worüber sie soviel geweint hatte.
Tausend Erinnerungen, hastig vorüberschwirrend, helle und dunkle, aber alle in ein fahles, unheilvolles, graues Licht getaucht. Wenn die Liebe gegangen ist und dem Menschen sind plötzlich die Augen geöffnet … er sieht den ehemals Geliebten so, wie ihn die andern sehen, einen Menschen wie alle, einen aus dem Dutzend, ohne sonderliche Vorzüge … und er sieht diesen Durchschnittsmenschen dann mit dem unbarmherzigen Auge der Ehefrau, die zwei Jahrzehnte an seiner Seite gelebt hat, die jedes Wort im voraus weiß, das er sprechen wird, der jede Kleinigkeit, jede Schwäche vertraut ist – dann, ja, dann erhebt sich die ratlose Frage: Warum? Wo ist der Wert? Warum habe ich soviel ertragen, gutgemacht, verziehen – was steckt denn in ihm, daß ich solche Opfer brachte?
Keine Antwort – die Gestalt, der die Liebe allein Atem und Leben gab, ist ohne die Liebe leblos geworden, eine skurrile Figur, aus Mätzchen, Schrullen, Unarten – eine unerträgliche Marionette, alle ihre Schnüre kennen wir!
Frau Eva hört auf der Treppe das Geräusch von Schuhen; erwachend fährt sie zusammen. Sie hört zwei Männer miteinander reden; es ist wohl Hubert, der mit dem Chauffeur aus dem Giebelzimmer nach unten geht. Der Chauffeur, das kostbare Auto! Einen Augenblick überkommt es Eva, die Tochter ihres Vaters zu sein, listig und klug …
Laß ihn doch loswirtschaften! denkt sie, er will ja der Herr sein, er wird sehen, wie weit er ohne mich und – Studmann kommt! Das Geld für das Auto, die Pacht … Ich werde Studmann sagen, er soll morgen nicht fahren, kein Geld beschaffen, auch wegen Leuten für die Kartoffelernte nichts veranlassen. – Er wird ja sehen, wie er sich in einerWoche rettungslos festgefahren hat! Ich bin es wirklich müde, immer wieder die Erlaubnis von ihm zu erbetteln, das Richtige tun zu dürfen … Dieser Putsch, der ihn jetzt ganz erfüllt, der ist ja auch bloß ein Abenteuer, Papa nicht dabei, Studmann nicht dabei, mein Bruder nicht dabei – ihn haben sie im letzten Augenblick rumgeredet! Er wird ja sehen …
Aber das kommt und geht. Sie sieht ihr Gesicht im Spiegel so nahe: Es liegt ein Zug von Rechthaberei um den Mund, den sie nicht mag. Jetzt glänzen ihre Augen, aber auch diesen Glanz mag sie nicht: So leuchten die Feuer der Schadenfreude.
Nein! sagt sie sich entschlossen, so nicht. Das will ich nicht. Ist alles wirklich zu Ende, wie es mir jetzt scheint, dann bricht es auch ohne mein Zutun zusammen. Ich will weiter alles tun, was ich kann. Viel ist es nicht mehr, es ist kein Eifer mehr darin, keine Liebe, es ist bloß Pflicht. Aber ich bin immer so anständig gewesen, wie ich konnte. Etwas Ernstes habe ich mir nicht vorzuwerfen, alle diese Jahre …
Sie sieht sich noch einmal prüfend an. Ihr Gesicht hat einen gespannten Ausdruck, die Haut um die Augen sieht dünn aus, mit tausend Fältchen, ausgetrocknet. Sie greift entschlossen nach dem Cremetopf und fettet ihr Gesicht ein. Während sie die Haut leicht mit den Fingerspitzen massiert, denkt sie: Es ist noch nicht alles für mich vorbei. Ich bin in meinen besten Jahren. Wenn ich mich nicht so gehenlasse und mit dem Essen mehr aufpasse, kann ich leicht fünfzehn oder zwanzig Pfund abnehmen – dann habe ich gerade die richtige Figur …
Fünf Minuten später sitzt Frau Eva von Prackwitz bei Herrn Studmann auf dem Büro. Von Studmann hat natürlich nicht die geringste Witterung dafür, wie der Gutsherrin grade zumute ist. Frau Eva, die in einer Viertelstunde entdeckt hat, daß sie ihren Mann nicht mehr liebt, die beschlossen hat, daß sie unter allen Umständen anständig
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