Wolf unter Wölfen
bleiben will, die sich aber doch noch ein ganz hoffnungsfrohes Leben zugebilligt hat – Frau Eva muß einen langen, gründlichen Vortrag darüber anhören,wie Herr von Studmann das Geld für die Pachtzahlung übermorgen aufzubringen gedenkt.
Alter Schulmeister! denkt sie bei sich, aber sie denkt es nicht ohne Sympathie. Frau Eva ist kein junges Mädchen mehr, sie kennt die Männer (denn wenn man einen Mann »richtig« kennt, kennt man alle Männer), sie weiß, daß Männer von einer verblüffenden Ahnungslosigkeit sind. Eine Frau kann an ihrer Seite vor Verlangen nach Zärtlichkeit umkommen, sie werden ihr lang und umständlich auseinandersetzen, daß sie einen neuen Anzug brauchen, warum sie einen neuen Anzug brauchen, welche Farbe der neue Anzug haben muß … Und plötzlich werden sie ganz überrascht und ein bißchen gekränkt sagen: »Hörst du überhaupt zu? Was hast du bloß? Ist dir nicht wohl? Du siehst so komisch aus!«
Frau Eva hat die Beine übergeschlagen. Da die Röcke zur Zeit recht kurz sind, hat sie Gelegenheit, während des Studmannschen Vortrages ihre Beine zu betrachten. Sie findet, ihre Beine sehen noch ausgezeichnet aus; nein, wenn sie abnimmt, möchte sie an den Hüften und hintenherum abnehmen – aber natürlich nimmt man immer grade dort ab, wo es nicht so erwünscht ist.
Derartige Gedanken scheinen magnetisch zu sein: Plötzlich merken die beiden, daß keiner mehr spricht.
»Wie war das, Herr von Studmann –?« fragt Frau Eva und lacht. »Entschuldigen Sie, ich war mit meinen Gedanken ganz woanders.«
Sie zieht ihre Beine soviel wie möglich unter den Rock zurück.
Herr von Studmann ist völlig bereit, zu verzeihen, da auch seine Gedanken entlaufen waren. Er nimmt hastig seinen Vortrag wieder auf. Es stellt sich nun heraus, daß in der Stadt Frankfurt an der Oder ein wahnsinniger Mensch lebt, der bereit ist, morgen den ganzen Pachtbetrag in schönsten Scheinen zur Verfügung zu stellen, wenn sich die Gutsverwaltung Neulohe verpflichtet, ihm im Dezember dafür tausend Zentner Roggen zu liefern.
»Aber der Mann ist ja wahnsinnig!« ruft Frau von Prackwitz verblüfft aus. »Er kann doch morgen dreitausend Zentner für sein Geld haben!«
Das habe er zuerst auch gemeint, gibt Herr von Studmann zu. Aber die Sache sei doch die, daß der Mann, ein reicher Fischhändler übrigens, seine dreitausend Zentner Korn morgen oder in einer Woche wieder nur in Papiergeld umtauschen könnte. Jeder aber fliehe heute das Papiergeld, suche es in einer Ware anzulegen, deren Wert beständig sei, und so sei dieser Mann wohl auf das Korn geraten.
»Aber wie kann er wissen, daß es im Dezember anders sein wird?« rief Frau von Prackwitz.
»Das kann er natürlich nicht wissen. Er hofft es, er glaubt es, er spekuliert darauf. Es hat in Berlin vor einiger Zeit Verhandlungen gegeben, eine neue Währung soll geschaffen werden. Schließlich kann es ja nicht ewig so weitergehen mit dem Abrutschen der Mark. Man streitet sich über Roggengeld oder Goldgeld. Der Mann denkt wohl, wir haben im Dezember die neue Währung.«
»Und würde das etwas für uns ändern?«
»Soweit ich voraussehen kann, nicht. Wir würden immer nur tausend Zentner Roggen zu liefern haben.«
»Also tun wir es doch!« sagte Frau von Prackwitz. »Günstiger können wir von diesem Alp doch überhaupt nicht loskommen.«
»Vielleicht fragen wir doch erst noch Prackwitz?« schlug Studmann vor.
»Ja, gerne. Wenn Sie es meinen? Nur – warum? Sie haben doch die Vollmacht!«
Es ist mit den Frauen des Teufels. In diesem Moment waren bestimmt keine Beine im Gespräch, es wurde von Geschäften, Pacht, Währung geredet, aber doch: wie Frau Eva die Notwendigkeit, den Gatten zu befragen, zweifelhaft machte, kam von neuem etwas Dunkles, Verhaltenes in das nüchterne Gespräch. Es klang wahrhaftig ein wenig so, als rede man, gradeheraus gesagt, von einem Sterbenden.
Leise sagte Herr von Studmann: »Ja, gewiß. Nur, Sie übernehmen beide die Verpflichtung zur Lieferung im – Dezember.«
»Ja – und?« Sie verstand nicht.
»Im Dezember! Sie müssen unter allen Umständen im Dezember liefern. Tausend Zentner Korn. Unter allen Umständen, gut zwei Monate noch.«
Frau von Prackwitz klopfte sich eine Zigarette auf dem Dosendeckel zurecht. Sie hatte eine kleine Falte zwischen den Augenbrauen. Nun schlug sie die Beine in der bequemsten Weise übereinander, aber sie dachte nicht daran. Auch Herr von Studmann sah es jetzt nicht.
»Sie verstehen, gnädige
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