Wolf unter Wölfen
machen.«
»Du, Papa –«
»Ja? Was denn?«
»Wann darf ich mal drin fahren? Heute noch –?«
Ach –! Beide Kinder hatten gleich viel Lust. Die Kindermädchen waren nicht da, saßen auf dem Büro.
»Ich weiß was, Papa! Wenn wir schnell mal durch die Forst führen? Da treiben doch die Gendarmen nach den Zuchthäuslern durch. Vielleicht erwischen wir die Kerls. So leise und schnell wie unser Wagen ist! Und dann könnten wir schnell mal in Birnbaum guten Tag sagen. Onkel Egon und die Vettern platzen vor Neid.«
»Ich weiß nicht«, meinte der Rittmeister bedenklich. »Die Mama will vielleicht mit?«
»Ach, die Mama, die sitzt viel lieber auf dem Büro!«
»So –? Was macht der Chauffeur jetzt –?«
»Der ißt in der Küche. Aber er muß gleich fertig sein. Soll ich ihn rufen?«
»Schön! – Hör noch mal, Weio. Rate, wen ich heute in der Bahn getroffen habe?«
»Wen denn? Wie soll ich das denn raten, Papa? Der ganze Kreis kann drin gesessen haben! Onkel Egon –?«
»I wo! Den würde ich dir doch nicht zum Raten aufgeben! – Nein, unsern Leutnant!«
»Wen –??« Violet wurde dunkelrot. Sie senkte den Kopf. In der Verwirrung drückte sie auf den Hupenknopf, daß das Auto laut aufbrüllte.
»Laß, bitte, den Krach, Weio! – Du weißt doch, den Leutnant, Violet, der damals so unhöflich war …« Geflüstert: »Den mit den Waffen …«
»Ach so, den!« flüsterte Violet. Sie hielt noch immer den Kopf gesenkt, sie spielte mit dem Steuerrad. »Ich dachte, du meintest jemand von unsern Bekannten …«
»Nein, das Rauhbein von damals! Du weißt doch noch:›In Gegenwart von jungen Damen spricht man nicht von solchen Sachen!‹« Der Rittmeister lachte, wurde aber sofort wieder ernst. »Alles, was recht ist, Weio, er scheint ein ziemlich wichtiges Tier zu sein, so jung er noch ist, mächtig tüchtig.«
Ganz leise: »Ja, Papa –?«
»Im Grunde ist er schuld daran, daß ich den Wagen gekauft habe.« Ganz leise, sehr geheimnisvoll: »Violet, die haben eine ganz große Sache vor – und dein Papa wird mitmachen …«
Es war in zwölf Stunden erst das drittemal, daß der Rittmeister von Prackwitz das Geheimnis ausplauderte; darum machte es ihm noch immer Spaß.
»Gegen die Sozis, Papa?«
»Die Regierung wird gestürzt, mein Kind.« (Dies sehr feierlich.) »Übermorgen, am ersten Oktober, fahre ich dazu mit diesem Wagen nach Ostade!«
»Und der Leutnant –?«
»Welcher Leutnant! Ach, der Leutnant! Nun, der macht natürlich auch mit.«
»Wird es denn Kämpfe geben, Papa?«
»Sehr möglich. Höchstwahrscheinlich. – Nein, Violet, du hast doch keine Angst?! Eine Offizierstochter! Ich habe den Weltkrieg überstanden, da werden mir solche kleinen Straßenkämpfe doch nichts tun!«
»Nein, Papa …«
»Na also! Kopf hoch, Violet! Wer nichts wagt, gewinnt nichts! – Und jetzt wird der Chauffeur mit seinem Essen fertig sein. Rufe ihn. Wir wollen zurück sein, ehe es ganz dunkel ist.«
Er sah seine Tochter aus dem Wagen steigen und langsam, mit gesenktem Kopf, nachdenklich in das Haus gehen. Die liebt mich wirklich, dachte er stolz. Wie sie zusammenfuhr, als sie hörte, daß es Kämpfe geben würde. Aber sie nimmt sich fabelhaft zusammen!
Der Rittmeister dachte dies nicht aus Freude über dieLiebe seiner Tochter, er dachte es nur, um solche Liebe in Gedanken seiner Frau vorzuhalten, die nicht einen Augenblick an die Gefahren, in die er sich begab, gedacht hatte, sondern nur an Autokäufe, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Pachtzahlungen, Vertrauensfragen …
Und während der Rittmeister, stolz auf solche Liebe der Tochter, die noch seinen Wert würdigt, sich zur Fahrt zurechtmacht, steht Weio wie gelähmt auf der kleinen Diele, nur den einen Gedanken im Herzen: Übermorgen! Wir haben uns nicht wiedergesehen, und er kann fallen. Übermorgen!
11
Frau Eva von Prackwitz war nach dem Streit mit ihrem Mann zuerst ganz gedankenlos in ihr Zimmer hinaufgegangen. Ihr war gewesen, als müßte sie weinen. Sie sah sich im Spiegel, der über dem Waschbecken hing: eine nicht mehr ganz junge, aber noch recht gut aussehende Frau mit ein klein wenig vorstehenden Basedowaugen, die jetzt einen starren Ausdruck hatten. Ihr war, als sei alles Leben aus ihr gewichen, sie fror vor Kälte, das Herz drinnen in der Brust war tot wie ein Stein …
Dann vergaß sie, daß sie vor einem Spiegel stand und sich ansah …
Wo ist der Wert? fragte es wieder in ihr. Es muß doch irgend etwas dagewesen sein, um dessentwillen ich ihn
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