Wolf unter Wölfen
von eben ausgelöscht, in ihrem Ohr ist fast Ruhe geworden von dem betäubenden Gezänk – da geht doch wahrhaftig, unglaublich, die Tür zu seinem Schlafzimmer auf. Er erscheint dort, er fragt halblaut-unsicher: »Schläfst du schon, Eva? Ich wollte gerne noch zu dir kommen!«
Dieses Leben kann wie ein ewiger Ekel wirken. Ein Lachen muß einen ja ankommen, wenn man ihn da so stehen sieht. Weiße Haare hat er, aber nichts gelernt. Wahrhaftig, er hat seinen besten Pyjama angezogen, er hat sich schön für sie gemacht, dieser ewige Schuljunge, für immer sitzengeblieben in der Klasse derer, die nie etwas verstehen werden!
»Eva! – Eva! – Eva!« In allen Tonlagen, rücksichtsvoll, bittend – und ein klein bißchen lauter, daß sie womöglich aufwacht, ohne daß er sie doch gradezu weckt. Sie kann ihn ganz gut sehen, seine Silhouette gegen das Licht, er aber kann sie nicht sehen, ihr Gesicht ist im Schatten. Und so ist es wirklich: er hat sie nie gesehen, eine lange Ehe hindurch – was er sich wohl einbildet für eine Frau zu haben –?!
Noch einmal: »Eva!«
Anklagend. Voll traurigen Vorwurfs. Siehe da, so ganz glaubte er ihr den Schlaf doch nicht. Aber er sieht wohl ein, sie will wirklich nicht, er murmelt etwas. Wenn er verlegen ist, murmelt er immer mit sich, er glaubt, er bemäntelt seine Verlegenheit dadurch.
Und nun klappt die Tür zu seinem Zimmer.
Da aber ist sie auch schon mit einem Satz aus dem Bett, nacktfüßig läuft sie – Veronalwirkung hin, Veronalwirkung her! – an die Tür; laut, ungeniert dreht sie den Schlüssel auf ihrer Seite um, und dann steht sie bei der Tür, lauschend, rasch atmend, triumphierend: Sind wir nun deutlich genug gewesen, mein Herr? Hast du nun endlich verstanden, daß es aus ist, endgültig aus?
Kein Laut von drüben, Stille, tiefe Stille – nicht einmal einer seiner jähzornigen Ausrufe. Stille. Nur Stille.
Langsam geht sie in ihr Bett zurück. Sie schläft sofort ein.
Und nun ist es vier Uhr fünfundzwanzig. Sie war so fröhlich aufgewacht. Dann war es ihr, als habe sie jemand gerufen. Sie erinnert sich: Weder Vater noch Tochter werden nach ihr rufen. Warum in aller Welt war sie fröhlich –?
Sie sitzt vornübergebeugt, aber die Glieder werden schlaff, sie geben nach. Sie legt sich wieder tief in das Bett hinein. Sie schmiegt sich ein und an wie an etwas Lebendes, das sie bergen kann. Sie will noch schlafen, sie kann noch schlafen. Es wäre ja nicht auszudenken, wie sie die vier Stunden bis zum Frühstück, umtanzt von solchen Gespenstern, hinbringen soll!
Oh, mein Gott, was für ein Gesicht soll sie bei diesem Frühstück machen? Was soll sie reden? Was anfangen? Sie könnte aufs Büro gehen, aber Herr von Studmann ist verreist, und der junge Pagel ist zu jung … Man wird sehen, schließlich ist noch jeder Tag des Lebens irgendwie vorübergegangen …
Gute Nacht!
2
Nach ihrem vorzeitigen Erwachen noch vor Sonnenaufgang war Frau Eva noch einmal so fest eingeschlafen, daß sie zum zweitenmal an diesem Tage ganz ungläubig auf ihren Wecker schaute: es war halb zehn. Nach einem bewährten Satz soll man seine Schlafmittel ausschlafen. Frau Eva hatte zwölf Stunden im Bett gelegen, das hätte für eine Veronaltablette genug sein müssen.
Aber als sie jetzt aus dem Bett stieg und sich an Waschen und Anziehen machte, waren die Glieder schwer, ein dumpfer Druck lag in ihrem Kopf. In ihren Augen saß ein Gefühl, als habe sie eben geweint oder müsse gleich weinen. Während sie sich hastig und immer ärgerlicher anzog, schalt sie bei sich auf das »Dreckzeug«, das sie nie wieder nehmen würde. Sie schalt aber auch auf ihren Mann, auf Weio, die Mädchen, Hubert, daß man sie so ohne Wecken in den Tag hinein hatte schlafen lassen …
Und bei alledem hatte sie ein todestrauriges Gefühl, eine Vorahnung, daß dieser Tag, der ohne Regen naß von den Bäumen triefte, nichts taugte, daß er ihr nicht und keinem etwas Gutes bringen würde …
Auf dem Frühstückstisch lag nur ein Gedeck – von Achim und Violet war nichts zu sehen. Sie drückte auf den Klingelknopf; aber sie mußte das ein paarmal tun, ehe statt Hubert Armgard mit dem Kaffee und den Eiern kam – Armgard mit einem Lächeln, das Frau Eva gar nicht gefallen wollte.
»Herr Rittmeister und Fräulein Violet haben schon gefrühstückt?« fragte Frau von Prackwitz, während Armgard etwas sehr umständlich den Kaffee eingoß.
»Schon um sieben Uhr, gnädige Frau«, berichtete Armgard überraschend eifrig.
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