Wolf unter Wölfen
»Herr Rittmeister und Fräulein Violet sind schon vor halb acht mit dem Automobil fortgefahren.«
Die Art, wie sie das Wort Automobil voll aussprach, zeigte, daß diese Neuerwerbung ihre volle Anerkennung hatte, daß der Horch auch in die Küche der Villa Glanz und Stolz getragen hatte. Vermutlich war man dort der Ansicht, daß man erst jetzt eine wirklich »feine Herrschaft« hatte.
»Warum bin ich nicht geweckt worden?« fragte Frau Eva mit einiger Schärfe.
»Der Herr Rittmeister haben es doch ausdrücklich verboten!« antwortete Armgard ein wenig gekränkt. »Der Herr Rittmeister und Fräulein Violet haben sich doch so in acht genommen, die gnädige Frau nicht zu stören. Auf Zehenspitzen sind sie die Treppe heruntergekommen, und auch hier im Frühstückszimmer haben sie immer nur geflüstert …«
Frau von Prackwitz konnte sich ihre beiden Helden recht gut vorstellen, die aus lauter Rücksichtnahme die Mama nicht weckten! Denn die hätte ja die Fahrt verhindern, die hätte ja vielleicht sogar mitfahren können! Diese Feiglinge –!
»Dann war ja freilich der große Lärm …«, sagte Armgard sanft, mit sehr scheinheiligem Gesicht.
Frau von Prackwitz zog vor, dies zu überhören. Sie hattegestern alle Arten von Lärm genossen, sie wollte keinen Lärm mehr hören, sie wollte auch nichts über Lärm hören.
»Hat mein Mann etwas gesagt, wann er zurück sein wird?« fragte sie.
»Der Herr Rittmeister meinte, er würde wohl nicht zum Essen zurück sein«, antwortete Armgard und sah die gnädige Frau abwartend an. Es war klar, auch dies Mädel wußte schon von dem Streit mit Achim; wahrscheinlich wußte schon das ganze Dorf, die Eltern eingeschlossen, davon. Man würde sich daran gewöhnen müssen, daß jedermann einen in der nächsten Zeit ansah, als sei man halb Witwe, halb verlassene Frau …
»Schön, Armgard«, sagte Frau Eva, gegen ihren Willen von all diesen kleinen Albernheiten etwas erheitert. »Dann können Sie das Filet vom Sonntag kalt aufschneiden, mit grünen Bohnen. Für uns paar Menschen reicht das …« Sie zählte an den Fingern ab: »Ich, Lotte, Sie, macht drei, Hubert vier – das reicht vollkommen.«
Eine kleine Pause, das Mädchen Armgard sah seine Herrin wortlos an. Frau von Prackwitz erwiderte den Blick, er war wirklich eine Spur ungemütlich. Frau Eva wollte lächeln, aber dann setzte sie die Tasse ab, sie setzte die Tasse mit einem Ruck hin – so wollte sie aber keinesfalls angesehen werden!
»Nun? Was sehen Sie mich so an, Armgard?« fragte sie energisch.
»O Gott, gnädige Frau!« rief Armgard und wurde rot. »Den Hubert brauchen gnädige Frau doch nicht mitzurechnen – den Hubert hat der Herr Rittmeister doch heute früh entlassen. Deswegen war doch solcher Lärm! Wir haben es bis in die Küche gehört. Wir wollten gar nicht, aber …«
»Wo ist Hubert?« fragte Frau von Prackwitz und winkte dem Gerede ab. »Ist er schon fort?«
»Aber nein, gnädige Frau! Er ist unten und packt seine Sachen!«
»Schicken Sie ihn zu mir. Sagen Sie ihm, ich möchte ihn sprechen.«
»Gnädige Frau, aber der Hubert hat dem Herrn Rittmeister gedroht, daß er …«
»Armgard! Ich wünsche keine Erzählungen von Ihnen, Sie sollen Hubert rufen!«
»Jawohl, gnädige Frau!«
Sehr gekränkt zieht sich Armgard zurück, wartend geht Frau Eva auf und ab. Mit dem Frühstück ist es natürlich schon wieder vorbei, sie hat gleich gewußt, als sie aufstand, daß dieser Tag nichts taugte.
Frau Eva geht auf und ab, auf und ab. Es ist wieder das Gefühl aus der Nacht, daß alles zerfällt, sich auflöst, daß man machtlos danebensteht, aber nichts dagegen tun kann. Es ist wahrhaftig nicht dieser lächerliche Hubert! Sie war nie seine Freundin, sie hatte schon zehnmal Lust gehabt, diesen schrulligen Querkopf vor die Tür zu setzen! Außerdem hatte sie eine körperliche Abneigung gegen ihn; auch ohne das Geschwätz der Mädchen von einem »Unhold« hatte sie als gesunde Frau immer gespürt, daß dieser Bengel nicht sauber war.
Also gut, er war entlassen, wahrscheinlich wegen einer Riesensache, wegen eines zu hart gekochten Eies oder wegen eines fallen gelassenen Teelöffels – in Achims jetziger Stimmung konnte alles Anlaß zu einem Wutausbruch werden. Aber daß alles so plötzlich ging, ohne Vorbereitung, daß nichts Neues im Leben mehr dazukam, nur Altes fortging, immer fortging …
Es war ja, als säße man auf einer Eisscholle, und Stück für Stück bröckelte von der Scholle ab, bald war nichts
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