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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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uns haben sie nicht erkannt. Ich habe die Hand gleich vors Gesicht gehalten. Fahren Probe, scheint’s. Viel Spaß – lange wird die Herrlichkeit wohl nicht mehr dauern.«
    »Wieso denn das, Herr Meier?« fragt Pagel spöttisch. »Meinen Sie, der Rittmeister geht pleite, weil Sie nicht mehr sein Beamter sind?«
    Aber Meier antwortet nicht. Er ist noch kein sehr geübterFahrer, der holprige, sandige Waldweg nimmt all seine Aufmerksamkeit in Anspruch.
    Schließlich kommen sie zur Försterei, sie laden den Förster aus, sie legen ihn auf ein Bett. Die Frau im Lehnstuhl schilt vor sich hin, daß sie den Mann betrunken nach Haus gebracht haben, daß sie ihn auf das falsche Bett gelegt haben, daß sie ihn nicht ausziehen …
    »Na also denn, Herr Meier!« sagt Pagel. Der kleine Meier sitzt schon wieder im Wagen. Pagel sieht ihn aufmerksam an, und dann streckt er ihm die Hand hin. »Also, gute Fahrt!«
    Meier sieht den Pagel an, Meier sieht die Hand an.
    »Wissen Sie was, Mensch«, sagt er. »(Ihren Namen behalte ich auch nie!) Wissen Sie was: Ich werde Ihnen meine Hand nicht geben, und es wird auch so gehen. Sie finden ja, ich bin ein Riesenschwein … Aber so ein Riesenschwein bin ich nun doch nicht, daß ich Ihnen jetzt die Hand gebe. Also denn!«
    Meier schlägt die Wagentür krachend zu, Pagel starrt ihn verblüfft an. Meier nickt durch das Wagenfenster noch einmal, und es scheint da jetzt ein ganz anderes Meier-Gesicht zu nicken: ein trauriges, elendes. Dann fährt der Wagen los.
    Pagel starrt ihm eine Weile nach. Armes Schwein, denkt er bei sich. Armes Schwein!
    Und Pagel meint beides, das »arm« und das »Schwein«. Dann geht er auf den Hof, ganz unsicher, ob er etwas sagen soll, was er sagen soll, wem er etwas sagen soll.
    Er wird es sich überlegen – eine Kleinigkeit zu lange.

DREIZEHNTES KAPITEL
Verloren und Verlassen

1
    Der dreißigste September dämmerte herauf, trübe und grämlich, der Wind brauste über Neulohe, er leerte es aus. Nicht nur der Wind leerte Neulohe. An diesem Tage wurde viel fortgeweht: Liebe und Haß, Verrat, Eifersucht, Eigennutz. Viel wehte davon – trieb die Menschen auseinander wie Herbstblätter.
    Und noch war nicht einmal der erste Oktober, der Schicksalstag!
    Am frühesten war Herr von Studmann erwacht, der Wecker hatte geklingelt, es war noch dunkel, der Wind fuhr um das Haus. Herr von Studmann war der Mann, mit Selbstverständlichkeit zu tun, was er vorhatte; ohne Bedauern fuhr er aus dem warmen Bett in den grauen, frösteligen Morgen hinein. Er hatte heute vor, die Pachtsumme zu beschaffen, er würde sie beschaffen, obwohl er eigentlich ziemlich genau wußte, daß sie sehr andern Zwecken dienen würde als dem Bezahlen der Pacht.
    Sorgfältig rasierte er sich. Wenn er in die Stadt fuhr, rasierte er sich stets zweimal; jetzt fiel ihm ein, er könnte sich auch für Neulohe nachrasieren, für Frau Eva …
    Aber er verwarf diesen Gedanken sofort. Er war weder ein Primaner noch ein Don Juan. Er balzte nicht wie ein Auerhahn.
    Wenig später ist Studmann auf dem Büro. Auf dem Schreibtisch liegt ein Zettel: »Bitte, wecken Sie mich, ehe Sie fahren. Ich habe etwas zu melden. Pagel.«
    Studmann zieht erstaunt die Achseln hoch. Was könnte Pagel Wichtiges zu melden haben? Vorsichtig zieht er die Tür vom Büro zu Pagels Zimmer auf. Der Lichtschein der Lampefällt hinein: Der Schläfer liegt auf der Seite und schläft ruhig. Eine breite Strähne Haar fällt in die Stirn, sie berührt das geschlossene Augenlid, jedes einzelne Haar schimmert wie dünnster gezogener Golddraht im Licht. Auch das Gesicht ist hell, als lächle es. Ganz überraschend kommen Studmann ein paar Worte – Verszeilen? – in den Sinn, wohl eine Reminiszenz seiner Schülerzeit: »Zum Glück geboren, zu nichts gekommen, wie alle gestorben.«
    Studmann entscheidet, daß die wichtige Mitteilung nicht wichtig sein kann. Er stellt fest, daß es jetzt erst vier Uhr ist und daß anderthalb Stunden Schlaf dem jungen Mann nur gut sein werden. Vorsichtig zieht er die Bürotür wieder zu. Im übrigen muß er unbedingt mit dem Frühzug nach Frankfurt, denn Frau Eva hat es so gewünscht. Auch die wichtigste Mitteilung kann daran nichts ändern, sondern nur stören.
    Auf dem Büro ist jetzt die schwarze Minna aufgetaucht, recht verschlafen und noch schlampiger gekleidet als sonst. Der von ihr servierte Kaffee sieht ebenso schlampig aus. Studmann, für sauberes Service seit seinem Hoteldienst überaus empfindlich, hat ein scharfes

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