Wolf unter Wölfen
haben.«
»Wo ich doch die Adresse von dem Herrn Meier habe für das gnädige Fräulein ermitteln müssen.«
Der Leutnant trinkt langsam einen Schluck. Dann brennt er sich eine Zigarette an. »Und darum kommen Sie hierher, bloß um mir das zu erzählen? Wo ist denn Ihr Interesse?«
Das kalte, leblose Auge richtet sich wieder auf den Leutnant.
»Weil ich doch ein rachsüchtiger Mensch bin, Herr Leutnant. Es ist alles leicht faßlich, wie ich schon bemerkt habe.«
»Weil sie gewollt hat, daß der Rittmeister Sie rausschmeißt?«
»Auch«, sagt der Diener. »Und auch noch wegen anderem – es sind gewissermaßen diskrete Dinge, Herr Leutnant.«
»Hören Sie zu, alter Freund!« ruft der Leutnant hitzig. »Spielen Sie hier nicht den Gentleman, kramen Sie aus, was Sie wissen – oder Sie erleben was! Ich habe Sie im Verdacht, daß Sie ein ganz gerissener Hund sind …«
Der Leutnant sieht mit Staunen, daß das graue Gesicht des andern sich ein wenig rötet. Ein unangenehm süßlicher, geschmeichelter Ausdruck liegt darauf.
»Ich suche mich zu bilden«, sagt der Mann. »Ich lese Bücher; nein, keine Romane, wissenschaftliche Werke, oft mehrere hundert Seiten stark …«
Wieder denkt der Leutnant: Wenn dieser Kerl kein Idiot ist, ist er ein abgrundtiefer Schurke. – Aber natürlich ist er ein Idiot, einen so gerissenen Schurken gibt es nicht!
Und laut: »Also erzählen Sie Ihre diskreten Heimlichkeiten. Haben Sie keine Angst, ich werde schon nicht rot werden.«
»Es ist«, berichtet der Diener wieder ganz leblos, »weil das gnädige Fräulein mich nicht wie einen Menschen behandelt hat. Es hat sich ausgezogen und angezogen in meiner Gegenwart, als sei ich ein Stück Holz. Und wenn die Herrschaftenauswärts waren, die Herren Eltern meine ich, dann hat das gnädige Fräulein mich immer in das Badezimmer befohlen, daß ich es abtrockne.«
»Und Sie waren natürlich verliebt in die Violet?«
»Jawohl, Herr Leutnant. Ich bin noch in das gnädige Fräulein verliebt.«
»Und sie hat das gewußt, hat Sie bloß quälen wollen?«
»Jawohl, Herr Leutnant. Das war die Absicht dabei.«
Stille. Schweigen.
Der Leutnant sieht von der Seite den Diener an, er denkt: Und so was, dieser Stockfisch und Dummkopf, hat also auch Gefühle. Das leidet und quält sich, genau wie ein richtiger Mensch …
»Und warum rächen Sie sich nicht selbst –?«
»Ich bin gewissermaßen ein friedliches Temperament, Herr Leutnant. Gewalttätigkeiten liegen mir nicht.«
»Sie sind also feige?«
»Jawohl, Herr Leutnant. Ich bin friedfertig.«
Der Leutnant denkt nach. Dann sagt er lebhaft: »Hören Sie zu, Herr Räder. Gehen Sie in den ›Goldenen Hut‹, Sie werden da einen dicken Herrn treffen. Sie werden ihn schon erkennen, einen Kriminalisten, mit steifem schwarzem Hut. – Wenn Sie dem das von Violets Brief an den Inspektor Meier erzählen, dann wird die junge Dame nicht mehr viel frohe Stunden im Leben haben.«
»Verzeihung, Herr Leutnant«, sagt der Diener hartnäckig. »Ich bin nicht für die Polizei. Ich bin für den Herrn Leutnant.«
Eine Weile war es still im Zimmer. Der Leutnant stocherte nachdenklich mit dem Löffel in seiner Tasse herum. Der Diener stand in einer aufmerksamen und doch indifferenten Haltung da. Dann faßte der Leutnant über den Tisch nach der Kognakflasche, er goß die Tasse mit Kognak voll und nahm einen Schluck.
Nun sah er den Diener an und sagte leise: »Ich werde diese Sache aber vielleicht etwas anders erledigen, als Sie sich denken, Räder.«
»Es wird schon recht sein, Herr Leutnant.«
»Wenn Sie denken, ich werde gewalttätig gegen das Fräulein …«
»Herr Leutnant werden schon alles überlegt haben, wie es am wirksamsten ist.«
»Am wirksamsten, ja …«, antwortet der Leutnant.
Und nun sind sie lange still. Der Leutnant trinkt in kleinen Schlucken seinen Kognak, der Diener steht unter der Tür.
»Räder!« ruft endlich der Leutnant.
»Jawohl, Herr Leutnant?«
»Wann wird es jetzt eigentlich dunkel?«
Räder tritt an das Fenster, er sieht in den trüben, rieselnden Abend hinaus. »Bei so bedecktem Himmel – kurz nach sechs«, entscheidet er.
»Sie müssen mir also ein Mietsauto besorgen, für Viertel sieben, hier an die Tür. Es muß mich bis an die Grenze der Neuloher Forst fahren. Vereinbaren Sie vorher den Preis.«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
»Wenn Sie aus dem Haus kommen und auch auf den Straßen – sehen Sie, ob irgendwo dieser dicke Kriminalbeamte herumschnüffelt, von dem ich
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