Wolf unter Wölfen
Leutnant und lacht plötzlich. »Ich will gerne so leise sein, wie Sie wünschen, mein schlauer Herr Räder. Aber einmal, ein einziges Mal erlauben Sie mir doch ein bißchen Lärm, wie –?«
Er starrt den andern haßerfüllt an.
»Hauen Sie ab, Mensch, ich kann Ihre Fresse nicht mehr sehen! Oder, so wahr mir Gott helfe, ich knalle erst mal auf Sie!«
Aber dann, als die beiden schon im Wagen sitzen, macht der Leutnant doch noch einmal eine Bewegung zu warten. Er hat etwas vergessen, etwas ungeheuer Wichtiges, etwas, ohne das ein Mensch keinesfalls sterben kann. Er sucht danach im Wagen, auf dem Rücksitz, unter den auf den Boden geglittenen Decken. Dann knallt er die Wagentür zu: »Fort mit euch! Meinethalben in die Hölle!«
Der Wagen fährt an. Laut klingt das Motorengeräusch zwischen den Bäumen. Der Leutnant steht am Wege, in seiner notdürftig gereinigten, halbnassen Windjacke, die gerettete Kognakbuddel in der Hand. Die beiden letzten Menschen,die er in diesem Leben sehen wird, sind von ihm fortgefahren – nun gut, was weiter? Aber der Kognak ist bei ihm geblieben – getreu bis in den Tod!
Der Leutnant horcht und horcht. Er möchte sich einbilden, daß dies Geräusch, das er hört, noch immer Motorengeräusch ist, daß er noch nicht ganz allein ist. Aber es ist so still, so still, und das, was er hört, das ist das eigene Herz, das in der Brust klopft – ach, so angstvoll! Ach, so feige!
Der Leutnant zuckt die Achseln, er ist nicht für seinen Herzschlag verantwortlich, er spitzt den Mund, als wolle er pfeifen, aber es kommt kein Laut. Die Lippe zittert … Meine Lippe zittert, mein Mund ist hohl und trocken.
Er sieht gegen den Himmel, aber nichts von Himmel ist zu sehen. Schwärze, sternenlose, trostlose Schwärze. Es bleibt ihm wirklich weiter gar nichts, als in den Schwarzen Grund hinunterzusteigen … Kein Vorwand ist zu entdecken, warum man dies noch immer weiter hinausschieben sollte …
Der Lichtschein der Taschenlampe blitzt auf, der Leutnant fängt in ihm die Spuren des Autos – langsam und sachte geht er diesen Spuren nach. Er merkt, es ist nicht nur die Spur eines Autos, nein zwei Autos sind hier gefahren.
Nachdem der Leutnant eine Weile nachgedacht hat, nickt er befriedigt mit dem Kopf. Es ist alles in Ordnung, genau wie es sein muß: das Auto von der Kontrollkommission und das Lastauto, mit dem sie die Waffen fortgeschafft haben. Das heißt, ein richtiges Lastauto ist es nun auch wieder nicht gewesen. Das würde man an der Bereifung sehen, es war wohl mehr ein größerer Lieferwagen. Wieder nickt der Leutnant befriedigt mit dem Kopf. Jawohl, sein Gehirn arbeitet ausgezeichnet, er fährt nicht als abgewelkter Greis in die Grube, in der Vollkraft seiner Jahre – oder wie es in den Todesanzeigen heißt. Aber bei ihm wird es keine Todesanzeige geben!
Aha, hier haben die Autos gehalten, hier ging es für die Wagen nicht tiefer hinab in den Grund. Aber ein Fußgänger braucht darum nicht zu zögern, für die Fußgänger ist der Wegdeutlich genug ausgetreten. Der Leutnant geht hin und her, mit seinem Laternchen prüft er alles nach. Jawohl, wiederum in bester Ordnung. Nachdem die Herren hier gehalten haben, sind sie in der Richtung Neulohe weitergefahren. Alles ist ordnungsgemäß erledigt, »faßlich«, würde dieser Hund Räder gesagt haben. Ach, dieser Hund, dieses Schwein – gottlob, daß er abgehauen ist. Der Dicke ist auch weg. Es riecht im Walde nicht die Spur nach Weibern – also kann man seine Angelegenheiten endlich mit sich alleine erledigen. Man muß keine frisierte Fresse ziehen, man hat keine Haltung zu bewahren – juckt es einen, so kratzt man sich; will man einen Schluck aus der Buddel nehmen, so tut man das, und hinterher rülpst man. Völlig ungeniert! Jawohl! Das kleine Kind, dem Leben kaum gegeben, benimmt sich ziemlich schändlich, nahe dem Tode wird es wieder so – aus dem Nichts kommend, in das Nichts gehend, führt man sich recht gewöhnlich auf – es ist alles faßlich. Sagt der Knabe Räder!
Eine gespenstische, lautlose Lustigkeit erfüllt den Leutnant. Der letzte Schluck Kognak war ziemlich kräftig, der Leutnant fällt den kleinen Fußpfad in den Waldgrund eher hinunter, als daß er ihn geht. Aber unten verfliegt diese Lustigkeit sofort wieder, aus der wirbelnden Trunkenheit wird ein zähflüssiger Brei –.
Ernsthaft schaut er sich an, wie diese Kerle hier gehaust haben, die haben sich wahrhaftig nicht geniert, diese Brüder! Tiefe Löcher im Boden,
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