Wolf unter Wölfen
Ihnen sagte. So ein fetter, bartloser Mann, blasses, aufgeschwemmtes Gesicht, ein merkwürdiger Blick – wie Eis. Schwarzer Überzieher mit Samtkragen, schwarzer steifer Hut …« Ungeduldig: »Sie werden ihn schon erkennen, Mensch!«
»Jawohl, Herr Leutnant, wenn ich ihn sehen sollte, werde ich ihn erkennen. Darf ich dann jetzt gehen?«
»Ja …«, antwortet der Leutnant nachdenklich, und plötzlich lebhaft, aber doch verlegen: »Hören Sie, Räder, ich habe noch einen Auftrag für Sie …«
»Bitte sehr –?«
»Ich brauche noch«, sagt der Leutnant zögernd, »ich brauche noch eine Schußwaffe – ich habe meine verloren …«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
»Werden Sie das erledigen können?«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
»Aber es wird nicht so einfach sein, heute hier eine Pistole zu bekommen. – Und natürlich etwas Munition, Räder!«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
»Sie sind sicher?«
»Ganz sicher, Herr Leutnant.«
»Wegen der Kosten …«
»Ich bin Herrn Leutnant gerne behilflich.«
»Ich habe noch etwas Geld. Ob es freilich für Auto und Waffe reicht …«
»Ich regle das, Herr Leutnant. – Ich werde also in einer Stunde zurück sein.«
Hubert Räder ist lautlos gegangen, der Leutnant ist allein in der möblierten Stube. Eine kleine Schwarzwälder Uhr tickt laut an der Wand, in der Küche raschelt und klappert manchmal die Wirtin. Der Leutnant liegt in Unterwäsche auf dem Sofa – seine Kleider trocknen noch am Ofen.
Er sieht auf den Tisch – dort steht die leere Tasse vor der Kognakflasche, die noch dreiviertel voll ist. Die Hand des Leutnants tastet sich langsam über den Tisch zu der Flasche hin – und zieht sich wieder zurück. Herr Leutnant brauchen einen klaren Kopf, klang die unausstehliche, immer etwas belehrende Stimme des Dieners.
Wieso braucht man denn dazu einen klaren Kopf? denkt der Leutnant. Sag mir das doch, du Schafskopf!
Aber trotzdem schenkt er sich nichts mehr ein. Schon jetzt steigt die Trunkenheit wie eine Welle in ihm hoch, sinkt wieder und steigt neu und höher … Er wirft einen Blick auf die Uhr: fünf Minuten vor halb sechs. Noch eine gute Dreiviertelstunde hat er allein für sich, beharrt er gewissermaßen noch im Leben – dann wird er immer schneller seinem Ende zueilen. Er heftet den Blick auf den Minutenzeiger. Er bewegt sich unendlich langsam, nein, er bewegt sich gar nicht, man sieht nichts davon, daß sich der kleine Zwischenraum zwischen Minuten- und Stundenzeiger verringert. – Und doch wird es urplötzlich Viertel nach sechs geworden sein,wird die letzte freie Zeit seines Lebens für ihn verstrichen sein.
Er versucht an Violet von Prackwitz zu denken, er will seinen Zorn wieder anfachen. Aber auf einer neuen Welle von Trunkenheit schwankt Räders fischiger, ledriger Kopf herauf mit den grauen, toten Augen. Der Kerl macht nie den Mund auf beim Reden, ich habe nicht einmal seine Zähne gesehen, denkt er plötzlich voller Ekel. Sicher hat er lauter verdorbene, schwarze Stummel im Maule. Darum macht er das Maul nicht auf beim Reden – alles verschimmelt und verfault!
Der Leutnant will noch einmal nach der Uhr sehen, aber er kriegt den Kopf nicht mehr hoch von der Sofalehne. Er schläft. Er verschläft seine letzte freie Lebenszeit, schläft, schläft …
Das Auto fährt durch die Nacht – im Lichte seiner weißen Scheinwerfer glänzen die regenfeuchten Stämme auf und sind schon wieder dunkel, schwarz, vorbei, ehe sie das müde, gequälte Auge noch recht erfaßt hat. In der Wagenecke sitzt der Leutnant, er liegt halb, er schläft noch beinahe, er kann noch immer nicht recht wach werden …
Ein bohrender Schmerz sitzt in seinem Schädel, er hindert ihn am klaren Denken. Der Leutnant bekommt es nicht heraus, ob es richtig ist, daß da vorn, auf der andern Seite der trennenden Glasscheibe, neben dem Chauffeur der Diener Räder sitzt. Es ist ihm, als hätte er nicht gewollt, daß dieser ekelhafte Kerl mitfährt. Aber dann fällt ihm wieder ein, daß ja der Diener dies Auto bezahlt. Mag er also in seinem Auto fahren, soviel er will, die Hauptsache ist, daß er gleich wieder umkehrt.
Der Leutnant ist fast froh, daß er trotz seiner Kopfschmerzen diese Lösung gefunden hat. Nun braucht er über nichts mehr nachzudenken. Es ist alles gut und in Ordnung, auch der Dicke hat ihn nicht mehr erwischt. Von jetzt an geht alles von selbst, er wird bis an den Ort gefahren – und dann ist es nichts wie ein leichter Knips. Es ist wirklich nurein Knips, die
Weitere Kostenlose Bücher