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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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jetzt gehen, ist Festungsgraben, steil steigen rechts und links die Wälle, mit Bäumen und Gebüsch bestanden, empor. Die beiden sind um eine Biegung gekommen, sie übersehen ein Stückchen Weg, eine einsame, abgelegene Stelle.
    An dem Weg steht eine Bank, eine regentriefende Bank. Auf der Bank hockt der Rittmeister von Prackwitz. Jawohl, da hockt er, aber er wacht nicht, sein Kopf hängt tief auf die Brust, er schläft den bewußtlosen, röchelnden Schlaf des völlig Betrunkenen. Von Zeit zu Zeit, wenn der Atem zuhinderlich röchelt, gibt der Kopf sich einen Ruck, er richtet sich fast grade auf und sinkt dann langsam, stoßweise doch wieder erst auf eine Schulter, dann auf die Brust zurück …
    Es ist ein kläglicher Anblick, es ist ein beschämender Anblick, den der Herr von Prackwitz bietet – die beiden Beschauer stehen einen Augenblick stumm, still. Der Rittmeister ist ja nicht umsonst in diesem einsamen Anlagenwinkel auf der Suche nach seinem Auto gelandet – er ist hierher verschleppt worden, er ist hier ausgeplündert worden!
    »Die sind wie die Aasgeier!« ruft der Dicke wütend. »Das Gesindel wittert seine Beute immer noch schneller als wir.«
    Und er wirft einen raschen, argwöhnischen Blick die Wälle hoch.
    Aber kein Zweig knackt in den Büschen, kein flüchtiger Fuß läßt einen Stein die Abhänge hinabrollen. Sie sind längst fort mit ihrer Beute, die Geier. Ausgeraubt, ausgezogen bis auf die Unterwäsche, eine lächerlich-beweinenswerte Figur, schläft der Rittmeister Joachim von Prackwitz-Neulohe seinen betrunkenen Schlaf im Nieselregen. Zu schwach, zu schwach – an den Widerständen, an den Widrigkeiten, die die Kraft des Starken anfachen, zerbricht er, flieht in das Nirwana, in die schmutzigen Betäubungen des Alkohols – um wie zu erwachen?!
    »Sie wollten den Herrn ja wohl sprechen?!« höhnt der Leutnant noch einmal.
    Und innerlich frohlockend: Die Wünsche der Sterbenden erfüllen sich! Wie wirst erst du entwürdigt werden, da es schon deinem Vater so ergeht.
    »Verdammte Schweinerei!« wütet der Dicke und läßt kein Auge von dem Leutnant.
    Er ist genau in der Lage jenes Fährmanns, der einen Wolf, eine Ziege und einen Kohlkopf übersetzen soll – und in seinem kleinen Nachen hat immer nur eines von den dreien Platz. Er kann auf den Leutnant aufpassen, oder er kann dem Rittmeister helfen – beides wird sich kaum vereinigen lassen.
    »Lassen Sie den Herrn von Prackwitz nur sitzen«, rät der Leutnant boshaft. »Es hat keiner gesehen, daß wir ihn hier gefunden haben. Und ich, ich werde ja meinen Mund halten müssen.«
    Der Dicke antwortet nicht, er steht nachdenklich da. »Leutnant!« sagt er dann eifrig. »Geben Sie sich einen Stoß! Sagen Sie mir, wer das Waffenlager verquatscht hat – und ich lasse Sie laufen.«
    Der Leutnant sagt zögernd: »Es ist allein meine Sache. Ich will nicht, daß irgend jemand anders seine Nase da reinsteckt. Aber ich gebe Ihnen mein heiliges Ehrenwort darauf, daß alles bloß blöder Weiberklatsch und Tratsch war, kein böser Wille …«
    Der Dicke steht nachdenklich da. »Ich muß die Namen wissen«, sagt er dann. »Es ist nicht nur das Fräulein von Prackwitz gewesen …«
    »Es ist nicht das Fräulein von Prackwitz gewesen –!« ruft der Leutnant hastig.
    Er bekommt einen fürchterlichen Schlag in die Magengrube. Der Dicke ist über ihm wie ein plötzlich losbrechendes Gewitter. Vor seinem Hagel von Schlägen kommt er überhaupt nicht zur Gegenwehr. Er ist am Boden, ehe er sich noch besonnen hat. Der andere greift in seine Tasche, er zieht die Pistole heraus. Er schimpft: »Ungesichert in der Hose – ihr seid Scheißkerle! So, mein Jungchen, nun tu, was du nicht lassen kannst, ohne Waffe! – Aber ich habe dich wieder, ehe du denkst …«
    Der Leutnant liegt am Boden, er kann nicht einmal antworten. Der ganze Leib schmerzt ihn, aber viel schlimmer ist die wütende Verzweiflung. Dieser Dicke, dieser erbarmungslose, brutale Koloß – er ist schon an der Bank, er hat schon den Rittmeister auf den Armen …
    Ich muß auf! Ich muß fort …, denkt der Leutnant.
    Im Vorüberlaufen versetzt ihm der Dicke noch einen fürchterlichen Tritt in die Seite, er meint ihn lachen, ihn kichern zu hören im Forteilen …
    Er will mich zuschanden machen, daß ich ihm nicht fortlaufen kann, denkt der Leutnant – und ist allein.
    Er liegt da, er wartet auf das Wiederkommen der Kräfte, auf ein bißchen Atem, auf die Segnung eines Entschlusses …
    Es ist meine letzte

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