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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Chance, denkt er. Ich muß ja fort, in den Schwarzen Grund, in den Schwarzen Grund. – Aber ich habe keine Waffe – von den Kameraden gibt mir keiner eine. Die wissen alle schon Bescheid … Ach, ich muß ja fort …!
    Taumelnd erhebt er sich, der zweite Niederschlag an diesem Tage, aber der zweite war der schlimmere.
    »Ich darf nicht so schleichen, ich muß schnell gehen, ich muß laufen«, flüstert er zu sich und bleibt stehen, hält sich an einem Baum fest. Sein ganzes Gesicht brennt wie blutiges, offenes Fleisch. Ich kann doch nicht so in die Stadt, ich muß schlimm aussehen, er hat mich schrecklich zugerichtet, dieses brutale Schwein! Das hat er grade gewollt!
    Er weint fast vor Mitleid mit sich, er weint fast, weil es so feige ist, zu weinen. Er stöhnt: O mein Gott, mein Gott, ich will ja gerne sterben. Warum lassen sie mich denn nicht in Ruhe sterben …?! Hilft mir denn kein einziger, mein Gott?!
    Eine Weile später merkt er, daß er wieder geht. Er ist schon aus den Anlagen heraus, er ist in den Stadtstraßen.
    Aber ich muß viel schneller gehen, denkt es in ihm. Der erwischt mich bestimmt, spätestens in meinem Gasthof. Ja, glotz nur, du Affe, so sieht einer aus, den sie vertrimmt haben!
    Und laut, herausfordernd, krakeelig wie ein Betrunkener: »Glotz nur, Affe!«
    »Guten Tag, Herr Leutnant«, sagt eine höfliche, eine sehr höfliche Stimme zu ihm. »Herr Leutnant erinnern sich meiner vielleicht nicht mehr –?«
    Durch den Nebel aus Schmerz und Betäubung versucht der Leutnant das Gesicht zu erkennen. In all seiner schmachvollen Entwürdigung berührt ihn die höfliche, kühle, leidenschaftslose Stimme angenehm. Ihm ist, als habe seit Ewigkeiten kein Mensch mehr so zu ihm gesprochen.
    »Räder«, hilft ihm der andere. »Mein Name ist Hubert Räder. Ich war der Diener in Neulohe – nicht beim Geheimrat, bei den jungen Leuten, dem Rittmeister …«
    »Ach, Sie sind der«, ruft der Leutnant fast erfreut aus, »der mir damals nicht auf die Kastanie geholfen hat. Jawohl, ich weiß noch …«
    »Jetzt aber würde ich dem Herrn Leutnant gerne behilflich sein. Wie bereits gesagt, ich bin nicht mehr Diener in Neulohe. Herr Leutnant sehen aus, als wenn Sie Hilfe brauchten …«
    »Ja«, murmelt der Leutnant. »Ich bin gefallen.« Er überlegt: »Ich bin überfallen worden.«
    »Wenn ich Herrn Leutnant irgendwie zu Diensten sein kann –?«
    »Hauen Sie ab, Mensch, belästigen Sie mich nicht!« schreit der Leutnant plötzlich. »Ich will nichts mit euch Leuten aus Neulohe zu tun haben – ihr bringt mir alle Unglück!«
    Und er versucht, schneller zu gehen, um von seinem Begleiter loszukommen.
    »Aber, Herr Leutnant!« sagt die ruhige, leidenschaftslose Stimme neben ihm. »Ich bin doch nicht aus Neulohe. Und wie gesagt, ich bin dort auch nicht mehr tätig, kurz gesagt, man hat mich hinausgeworfen …«
    Der Leutnant bleibt plötzlich stehen. »Wer hat Sie rausgeworfen?« fragt er.
    »Der Herr Rittmeister, Herr Leutnant«, sagt der andere. »Herr Rittmeister hatte mich engagiert, und Herr Rittmeister hat mich auch hinausgeworfen – sonst wäre doch niemand gesetzlich dazu berechtigt gewesen.«
    Er sagt dies mit einer gewissen albernen Genugtuung. Der Leutnant versucht, das Gesicht vor sich zu erkennen, eine Erinnerung kommt ihm: Violet hat ihm von diesem Diener erzählt, einem eingebildeten Dummkopf.
    »Warum sind Sie denn rausgeworfen worden?« fragt der Leutnant wieder.
    »Das gnädige Fräulein hat es so gewünscht«, berichtet der Diener kurz. »Ich habe dem gnädigen Fräulein von Anfang an nicht zugesagt. Es gibt eben solche Antipathien – ich habe es in einem Buche gelesen, wissenschaftlich heißen sie Idio-syn-kra-si-en!«
    Wieder fährt dem Leutnant der Satz durch den Kopf: Die Wünsche der Sterbenden gehen in Erfüllung. Er möchte diese so gelegen kommende Hilfe in Anspruch nehmen. Aber irgend etwas in der eigenen Brust warnt ihn; diese Hilfe kommt gar zu gelegen, ein Argwohn ist in ihm wach.
    »Hören Sie zu«, sagt er zu dem Diener, »gehen Sie schnell in den ›Goldenen Hut‹. Dem Herrn Rittmeister ist ein Unfall zugestoßen. Sie werden dort empfangen werden wie der liebe Heiland – wieder angestellt werden Sie, das Gehalt wird Ihnen verdoppelt, Mensch!«
    Zum ersten Male trifft den Leutnant voll der trübe, graue Blick des Fischauges.
    »Nein«, erklärt der Diener und schüttelt den Kopf. »Herr Leutnant verzeihen, aber wir haben schon auf der Dienerschule gelernt, man soll nie auf eine

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