Wolf unter Wölfen
Sie! Mögen Sie sich meiner recht oft und recht lange erinnern!
Weg mit der Flasche! Krach – entzwei! Schade, es war ein guter Kognak darin!
Meine Herren, meine Damen, ich hatte bedauert, daß ich nur sechs Schüsse in der Trommel hatte – sehen Sie, meinen fünften feure ich in den Himmel ab, ein Ehrensalut für meine Dame, daß es ihr ewig in den Ohren gellen möge von mir. – Und der sechste Schuß: ein Schuß reicht für mich. Sehen Sie so, über der Nasenwurzel angesetzt – sehen Sie so … Wenn
sie
mich wirklich besuchen sollte, werde ich ein ausgezeichneter Anblick sein für
sie
!
O mein Gott, mein Gott, kommt denn keiner, geschieht denn gar nichts, sie können mich doch hier nicht verrecken lassen! Es muß doch irgendeiner kommen und sagen, daß alles ein Irrtum war. – Jetzt zähle ich bis drei, und wenn dann nichts geschehen ist, schieße ich los –: Eins! – Zwei! – Drei! –
Nichts, wirklich nichts? So ist der ganze Dreck auch nichts wert! Es war alles Dreck, was ich erlebt habe, und das Sterben ist auch Dreck, feiger, hündischer Dreck, und hinterher wird Dreck kommen, das weiß ich nun auch schon! Ich habe viel zuviel Angst gehabt, es lohnt sich nicht, um diesen Dreck Angst zu haben. Jetzt bin ich ganz ruhig. Es wäre nett gewesen von dem Posten, heute mittag, wenn er auf mich geschossen hätte. Er hätte mir wirklich was abgenommen. Aber ich kann das auch. Allein gelebt, allein gestorben –
Gebt Feuer
– und was nun –? Ach …
Ja, und was nun –? Ach!
Im Schwarzen Grunde, in der Waldsenke, liegt eine Taschenlampe an der Erde, ihr kleiner Lichtkegel fällt auf ein paar Gräser, ein Stück bemoosten Stein, etwas Erde … Es ist ganz still, ganz still … Der kleine, weiße, einsame Schein in der stillen Nacht, die eben noch so laut war …
Jetzt kommt ein Geräusch von den Büschen her, jemand räuspert sich, hustet …
Stille dann, Stille, lange …
Leise, vorsichtig kommt ein Schritt näher, zögert, hält ein. Wieder Husten.
Stille, nichts, nur Stille …
Der Schritt kommt wieder näher, ein Fuß, ein Fuß ineinem schwarzen Lederschuh erscheint in dem weißen Lichtkegel der Taschenlampe.
Einen Augenblick später ist die Lampe aufgehoben. Ihr Schein wandert, hält inne … Zögernd, als klebe er am Boden, geht der Schritt noch einmal weiter, der stille Besucher sieht hinunter auf das, was stiller liegt.
Lange Stille, lange Stille …
Dann räuspert sich der Mann. Der Lichtkegel der Laterne sucht wieder, rechts davon, links davon.
Er wird doch nicht daraufgefallen sein –?!
Aber dann ist der Revolver gefunden. Der ihn fand, untersucht die Trommel, mit dem Stecher wirft er die leeren Patronenhülsen aus. Der Revolver wird neu geladen. Noch einmal richtet sich der Schein der Laterne auf den Toten. Dann entfernt er sich rasch, den Hang hinauf, die Schneise entlang, den Weg nach Neulohe.
Es ist ganz dunkel im Schwarzen Grunde.
9
Keine Stütze, keine Hausfrau hätte die Villa sorglicher vorbereiten können, als es der junge Pagel getan hatte. Die Zimmer waren aufgeräumt und warm, der Badeofen war geheizt. In der Küche wartete ein Abendessen auf die Heimkehrenden, und der junge Mann hatte es sogar fertiggebracht, aus dem von Sommerhitze ausgedörrten, im Herbstregen ersoffenen Garten ein paar Sträuße zusammenzuholen: Gladiolen, Dahlien, Astern …
Wo Frau Eva von Prackwitz eine von Hilfskräften entblößte Wüste hinterlassen hatte, da fand sie wieder ein Heim vor, und sogar das trostlose Mädchen Lotte, das fest entschlossen gewesen war, auch zu fliehen, war so munter und aufgeräumt wie kaum je zuvor. Denn der »junge Mann« hatte das Scheuerfest zu einer Lustbarkeit gemacht: mit den räumenden Weibern war er mitgewandert, das Koffergrammophonin der Hand, und wie es sich kehren ließ, wie sich Betten machten, wenn dazu Musik erscholl wie »Puppchen, du bist mein Augenstern« oder »Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen« – das war gar nicht zu sagen! In einem halben Jahr war nicht soviel und nicht so herzlich in der Villa gelacht worden wie an diesem einen Abend.
Aber dem Lachen folgt Weinen, Regen vertreibt den Sonnenschein, und – es ist nicht alle Tage Sonntag. Dem schneidigen Horchwagen sah man es nicht an, als er vorfuhr, welche Unglücksfuhre er barg. Eher schon dem recht betreten aussehenden Herrn Finger, der den Schlag noch vor dem herbeieilenden jungen Pagel öffnete. Als man dann in den Wagen sah …
Das gnädige Fräulein freilich schlief noch
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