Wolf unter Wölfen
immer, und etwas so Beängstigendes dieser starre, bleiche Schlaf auch hatte, er allein hätte die Gesichter nicht so ernst und verlegen gemacht. Aber der Rittmeister, dieser unselige Rittmeister von Prackwitz! Er war noch nicht wieder bei Besinnung, aber er hatte während der Fahrt zu brechen angefangen – kaum bekleidet, stöhnend, beschmutzt hoben sie ihn aus dem Wagen.
Die gnädige Frau mußte fürchterliche Stunden hinter sich haben, sie sah fahl und alt aus. Ihr schöner, voller Mund war fest geschlossen, traurig und bitter sah sie aus.
»Ja«, nickte sie streng, »ich bringe das Unglück ins Haus.«
Sie warf einen kurzen Blick auf die Gesichter um sich, geisterhafte Gesichter im spärlichen Schein der Außenlampe. Der junge Pagel, der Chauffeur Finger, Lotte, erschrocken und angstvoll, ein paar Frauen aus dem Dorf – nein, es gab kein Versteckenspielen, kein Heimlichtun mehr. Das Unglück war in die Villa eingekehrt. Aber Frau Eva trug auch das – trug es? Nein, es machte sie stark, im wirklichen Unglück vergeht die Anstellerei …
»Herr Finger, Herr Pagel, Sie sind so freundlich und tragen meinen Mann hinauf. Am besten legen Sie ihn erst auf die Chaiselongue im Badezimmer, bis ein Bad fertig ist. Esist fertig? Schön! Ihr Mädchen helft mir bei Fräulein Violet. Habe doch keine Angst, Lotte, sie ist nicht tot, sie ist nur betäubt. Der Arzt hat ihr ein Mittel gegeben. So – nun los!«
Brennen die Lampen plötzlich düsterer im Haus? Hat es hier eben noch gesungen, geklungen und gelacht? Was sollen die Blumen in den Vasen? Das Unglück kam heim – alle gehen auf den Zehen, alle flüstern –. Horch, was ist das? Es ist nichts, es ist nur der Rittmeister, er stöhnt wieder. Die Außenlampe an der Villa brennt weiter, für nichts werfen die Scheinwerfer des Autos ihre Lichtkegel in die Nacht.
Die beiden Männer, Pagel und Finger, haben den Rittmeister ausgezogen, in die Badewanne gelegt.
»Nein, ich habe keine Zeit für ihn. Tun Sie das. Violet ist jetzt wichtiger …«
Und sie hat sich neben das Bett der Tochter gesetzt, sie verläßt das Zimmer nicht – denkt sie an eine Mahnung? Ist sie noch nicht geborgen – hier, in ihrem Heim? Um Neulohe steht der Wald, ferne ist die Welt, wie kann noch größeres Unheil kommen –? Noch größeres Unheil als eine geschändete, verwirrte Tochter, ein Mann, der nun endgültig allen Halt verloren hat –? Noch größeres Unheil –?
»Lotte«, sagt sie. »Gehen Sie sofort hinunter. Schließen Sie alle Türen ab, im Souterrain und im Erdgeschoß. Sehen Sie nach, daß alle Fenster wirklich zu sind. Machen Sie niemandem die Tür auf, ehe Sie mich nicht gefragt haben.«
Das Mädchen geht, angstvoll, verwirrt. Die Frau sitzt neben dem Bett. Um halb eins, eins wird die Tochter erwachen. Auf diesen Moment kommt alles an, daß weiß sie vom Arzt. Die Stunde soll sie bereit finden. Keinen Schritt aus diesem Zimmer! Es ist Violets Zimmer – hier hat sie als Kind, als junges Mädchen gewohnt. Was sie damals war, ach! vor noch so kurzer Zeit, das muß ihr die Kraft geben, zu überwinden, was sie geworden ist!
Die beiden Männer arbeiten stumm an dem Rittmeister. Der junge Pagel wäscht ihn sorgfältig ab, der Chauffeur hält ihn, denn die weichen, schlafenden Glieder verlieren immerwieder den Halt in der Wanne. Trotzdem scheint es, als ob Besinnung in den Körper zurückkehren will, die Augenlider bewegen sich, zucken, der Mund flüstert.
»Bitte sehr, Herr Rittmeister?«
»Was zu trinken …«
Jawohl, etwas wie Erinnerung regt sich in dem betäubten Hirn, die erste wieder erwachende Ahnung von dem Unheil, das diesen Mann befallen hat. Und schon verlangt er, der noch nicht wieder denken kann, nach neuer Betäubung, neuer Flucht …
Pagel sieht den Chauffeur an. Herr Finger bewegt verneinend den Kopf: »Er bricht ja schon Galle. Der Magen nimmt nichts mehr an.«
Pagel nickt.
Es ist nicht leicht, den bewußtlosen, nassen, glatten Körper aus der Wanne zu heben. Der Rittmeister widersetzt sich, er murmelt heftig. »Portwein!« murmelt er. »Ober, noch eine Flasche …«
»Was ist –?« ruft Frau Eva aus der Tür von Violets Zimmer.
»Wir bringen Herrn Rittmeister jetzt ins Bett«, berichtet Pagel. »Er möchte zu trinken haben, gnädige Frau.«
»Er bekommt nichts«, entscheidet sie. »Keinen Schluck Alkohol. Sehen Sie nach, Herr Pagel, in meinem Nachtschränkchen muß Veronal sein. Geben Sie ihm eine Tablette …«
Schließlich liegt der Rittmeister im
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