Wolf unter Wölfen
Leib und Seele, daß das Leben nur dem Freude bringt, der eine Aufgabe erfüllt, unbeirrbar, sei sie klein oder groß. Daß Lebenserfüllung nur aus dem eigenen Ich kommen kann, nicht aus der Umwelt, nicht aus einem Spielgewinn …
Die Klingel gellte zum dritten Male.
Die gnädige Frau oben rief etwas Unverständliches.
Im Vorbeilaufen sah er in der Flurgarderobe einen dicken Eichenknüppel stehen, den der Rittmeister sonst für seine Waldwege benutzt hatte. Er ergriff ihn, wirbelte ihn einmal durch die Luft, wobei er die Flurlampe in Gefahr brachte, und den Knüppel schlagbereit in der Faust, öffnete er die Tür, gerade als es zum viertenmal klingelte.
Vor der Tür stand, mit gerötetem, etwas ärgerlichem Gesicht, Herr von Studmann, einen ersichtlich recht schweren Kupeekoffer in der Hand.
»Sie, Herr von Studmann!« rief Pagel verblüfft und ließ seine lächerliche Waffe beschämt sinken.
»Jawohl, ich!« sagte Herr von Studmann, und zwar so gereizt, wie es ihm nur immer möglich war. »Und ich weiß wirklich nicht, was heute in Neulohe los ist! Ich denke«, sprach er ziemlich gekränkt, »ich werde mit Sehnsucht und Spannung erwartet, ich bringe eine immerhin nicht unbeträchtliche Summe Geldes –: und kein Wagen ist an der Bahn, das Beamtenhaus dunkel und verschlossen, das Schloß dunkel, aber voll Trara, als würden die größten Feste gefeiert, doch keiner macht auf … Und hier darf ich zehn Minuten im Regen stehen und klingeln …«
Herrn von Studmanns Stimme war immer vorwurfsvoller geworden, als ihm der Leidensweg, den er durch die Unzuverlässigkeit der andern hatte gehen müssen, beim Aufzählen so recht klar wurde …
»Hören Sie zu, Herr von Studmann«, flüsterte Pagel eilig, zog den Verdutzten auf die Diele und schloß sorgfältig hinter ihm ab, »hier oder vielmehr in Ostade scheint unterdes ein Unglück geschehen zu sein. Das Fräulein Violet ist schwerkrank aus Ostade zurückgekommen und der Rittmeister – nun, schwer angedunt. Näheres weiß ich auch nicht. Das schlimmste ist, daß die gnädige Frau auch ganz verwirrt ist, sie scheint noch weiteres Unglück zu fürchten, ich habe keine Ahnung, was … Und ich bin ganz allein mit ihnen. Ja, richtig, die Schnüffelkommission war auch hier, sie hat in der Forst ein Waffenlager ausgehoben, wußten
Sie
davon –?«
»Ich –?!« rief Herr von Studmann voll Empörung und setzte den Handkoffer schwer nieder. »Ich sollte …«
»Jawohl, gnädige Frau«, rief Pagel nach oben. »Es ist alles in bester Ordnung. Herr von Studmann ist hier. Darf er zu Ihnen kommen?«
»Herr von Studmann!« rief Frau Eva. »Jawohl. Gleich. Sofort! Gott sei Dank, Herr von Studmann, daß Sie wieder da sind, ich brauche so nötig Hilfe … Ich kann hier nicht weg …«
Pagel ging still in sein Zimmer zu dem Rittmeister. Der Chef schien zu schlafen, dieses Mal hatte er das Veronal – zwei Tabletten – bei sich behalten. Aber zu trauen war ihm nicht. Er lag mit geschlossenen Augen, ruhig atmend, aber auch ein Wachender kann mit geschlossenen Augen ruhig atmen. Pagel hatte das Gefühl, als stimmte etwas nicht. Er hatte auch das Gefühl, als sei der Rittmeister in der Zwischenzeit aus dem Bett gewesen. Er hatte keinen Anhalt dafür, aber so war sein Gefühl. Er fand auch, daß des Rittmeisters Gesicht einen verbissenen, bösartigen Ausdruck trug, und beschloß, auf seiner Hut zu sein. Oberwachtmeister Marofke sollte ihm nicht umsonst eine Lehre gegeben haben …
Mittlerweile hörte Pagel auf die Stimmen aus dem Zimmer von Violet. Wenn er auch kein Wort verstehen konnte, zu unterscheiden waren die Stimmen gut, denn hier wie dort standen die Türen zum Flur halb offen. Es war nicht zu verkennen, daß die Stimme Herrn von Studmanns ein wenig gekränkt klang, und zu verwundern war das nicht. Da war er gelaufen und hatte gehandelt, da war er tüchtig gewesen und hatte Glück gehabt, da brachte er Geld die Menge, so sehnsüchtig erwartetes, so notwendiges Geld – und kein Wagen war an der Bahn, kein Mensch zu seinem Empfang da, das Geld ist so belanglos, was er geleistet hat, so unwichtig! Wir sind ja indessen krank geworden, wir beschäftigen uns nun mit anderen Dingen, einem Unglück zum Beispiel, einem geschehenen und einem kommenden, wichtigeren Dingen …
Armer Herr von Studmann! Pagel sieht ihn so deutlich vor dem dunklen Beamtenhaus stehen, mit dem schweren Koffer, den er nicht einen Augenblick aus der Hand läßt. Dieses gute Kindermädchen, das die ewige
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