Wolf unter Wölfen
entscheidende Moment. »Doch!« antwortet Pagel und faßt den Rittmeister um.
»Lassen Sie mich los!« schreit der Rittmeister. Die Wut, die nie erlebte Entwürdigung, die Sucht nach Alkohol geben ihm Kräfte.
»Achim, Achim! Was soll das?« ruft es von der Tür her. Der Lärm des Kampfes, das Geschrei haben die gnädige Frau herübergerufen, von dem Krankenbett der Tochter, das sie doch nicht verlassen will.
»Du! Du!« schreit der Rittmeister voller Wut und strebt nur um so stärker, sich aus Pagels Armen loszureißen. »Du hast diesen jungen Bengel gegen mich aufgehetzt! Was heißt das, daß ich keinen Kognak haben soll?! Bin ich hier der Herr oder du?! Ich …«
Er strebt aus Pagels Armen, als wollte er sich auf seine Frau stürzen.
»Bringen Sie ihn ins Bett, Herr Pagel!« befiehlt Frau Eva zornig. »Genieren Sie sich nicht, fassen Sie ordentlich zu. Achim!« mahnt sie, »Achim, drüben liegt Violet krank, nimm dich zusammen, sei einmal ein Mann! Sie ist so krank …«
»Ich gehe ja schon«, sagt der Rittmeister, plötzlich fast weinerlich. »Wenn
ich
krank bin, machst du gar kein Aufhebens. Ich will nur einen Kognak trinken, einen einzigen, kleinen Kognak …«
»Geben Sie ihm noch ein Veronal. Geben Sie ihm zwei Veronal – daß er endlich Ruhe hält, Herr Pagel«, ruft Frau Eva verzweifelt aus. »Ich muß zurück zu Violet.«
Und von ihrer Angst getrieben, eilt sie zurück in das Zimmer der Tochter. Als sie über den Gang läuft, klopft ihr Herz so wild – was wird sie jetzt sehen –?!
Aber – und das Herz geht ruhiger – sie sieht nichts anderes, als was sie verließ: die Tochter liegt ruhig schlafend imBett, sehr weiß, das Gesicht eine Spur gedunsen, mit einem Ausdruck, als grüble sie.
Frau Eva faßt nach dem Puls, er schlägt langsam, aber kräftig spürbar. Keine Angst – Violet wird erwachen, man wird mit ihr sprechen oder nicht sprechen, ganz wie es die Stunde verlangt. Sie wird wieder gesund werden, man wird fortgehen von Neulohe, in einem stillen Winkel leben. Der Vater wird mit sich reden lassen wegen des Geldes. Keiner braucht zu verzweifeln wegen einer Niederlage, auch Violet nicht. Eigentlich besteht das Leben, genau betrachtet, aus lauter Niederlagen. Aber der Mensch lebt doch weiter und freut sich am Leben, der Mensch, dieses zäheste, dieses widerstandsfähigste aller Geschöpfe …
Frau Eva von Prackwitz, geborene von Teschow, sieht hoch, es ist fünf Minuten nach zwölf Uhr. Die entscheidende, die verhängnisvolle Stunde hat begonnen.
Sie fröstelt, jawohl, es herrscht eine drückende Hitze im Zimmer. Sie öffnet das Fenster, leise geht in der dunklen Nacht der Wind, leise fallen die Tropfen von den Bäumen. Sie sieht hinaus, aber sie erkennt nichts, nur Schatten im Schatten. Und aus dieser Schattenwelt soll die Gefahr kommen, die ihre Menschwelt bedroht –?!
Sie fröstelt wieder. Was tue ich denn? denkt sie erschrocken. Ich friere, und ich mache das Fenster auf? Ich bin ja auch ganz verwirrt! Es ist alles zuviel für einen Menschen …
Und sie legt sorgfältig die Halter zwischen die Fensterflügel, damit sie vom Winde nicht klappern.
In diesem Augenblick schlägt laut gellend unten im Haus die elektrische Klingel an.
10
Über den Flur hin, ein jedes in die Tür seines Krankenzimmers getreten, sahen sich Frau von Prackwitz und Pagel an. Der junge Mann verstand nicht die weiße Angst auf dem Gesicht der Frau …
»Es hat geklingelt«, flüsterte sie …
»Es wird der Chauffeur sein«, antwortete er beruhigend. »Er hat irgendwo im Dorf zu Abend gegessen und will jetzt …«
»Nein! Nein!« rief sie angstvoll.
Wieder gellte die Klingel.
»Machen Sie nicht auf!« bat sie. »Bitte, Herr Pagel, es kommt Unheil …«
»Oder es wird Lotte sein«, versuchte er wieder. »Lotte ist auch noch fortgegangen. Wir können das Mädchen doch nicht aussperren. Der Herr Rittmeister ist grade ruhig, lassen Sie mich schnell aufmachen …«
»Bitte nicht, Herr Pagel«, bat sie wie ein Kind. Als könne man das Unglück aussperren, das aus einem falsch geführten Leben erwächst.
Aber er lief schon die Treppe hinunter, leicht und rasch lief er, sein Kopf dachte klar, sein Körper war für jede Gefahr bereit. Es war töricht, aber etwas wie Freude erfüllte ihn; er war nicht umsonst auf der Welt, er erfüllte eine Aufgabe, und war es nur die ganz kleine, der Frau dort oben zu beweisen, daß sie umsonst Angst hatte. Zum ersten Male begriff er innerlich, mit seinem ganzen Wesen, mit
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