Wolf unter Wölfen
Faulheit ist ein böses Beispiel im Dorf.«
Frau von Prackwitz sieht ihn an. Die Röte des Ärgers undder Scham ist aus ihrem Gesicht gewichen, doch nicht ganz. Etwas blieb zurück, eine Spur gesunderer Lebensfarbe. Nein, das Leben ist doch nicht nur alt und häßlich und verbraucht – es kann auch noch jung, frisch, sauber sein.
Fast entschuldigend sagt sie: »Ich habe die Sophie als Bedienung fürs Haus angenommen. Sie bot es mir an, und ich war so in Verlegenheit. Aber bitte, kommen Sie doch herein, Herr Pagel.«
Sie geht ihm voran, sie ist fast befangen – muß sie sich nicht schämen? Ihr Unglaube, ihr Zweifel – sie sind so häßlich gegen seinen Glauben, seine Sauberkeit.
»Ich kannte ja die Zusammenhänge nicht«, sagt sie noch einmal erklärend.
»Sicher wird sich die Sophie für die Hausarbeit besser eignen als für das Kartoffelbuddeln«, meint Pagel. »Die Hauptsache ist, sie läuft nicht länger faul herum.«
»Aber ich habe die schwarze Minna dafür entlassen«, berichtet Frau Eva schuldbewußt. »Das Frauenzimmer ist mir so gräßlich …«
Pagels Mund hat sich fest geschlossen; er denkt, daß die Faule den guten Posten kriegt und die Fleißige, die sich immer abrackert, wieder in die eisigen Kartoffeln muß. Sie urteilt nicht über die Arbeit, die versteht sie nicht. Sie denkt an das Aussehen, die hübsche Sophie gefällt ihr besser als die verbrauchte schwarze Minna.
»Ich werde mit Ihrem Einverständnis die Minna im Schloß beschäftigen«, schlägt er schließlich vor. »Da sieht es noch wild aus, und irgendwann werden die alten Herrschaften doch zurückkommen.«
»Ja, tun Sie das, Herr Pagel!« ruft sie eifrig. »Ich bin Ihnen ja so dankbar. Es ist sicher die beste Lösung.« Fast schuldbewußt sieht sie ihn an. »Sie sind mir doch nicht böse wegen vorhin?«
»Nein. Nein. Aber vielleicht werden Sie mir böse sein, wenn ich Ihnen sage …«
Das Licht in ihren Augen erlischt.
»Hat die Sophie also doch recht gehabt?« fragt sie tonlos.
»… wenn ich Ihnen sage, daß ich vor ein paar Stunden hier in Ihrem Zimmer war. Ich habe«, sagt er ein wenig verlegen, »die Briefe dort durchgesehen, ich suchte einen bestimmten Brief …«
Sie sieht ihn zweifelnd an, sie wartet ab.
»Ich fand den Brief nicht. Ich wollte ihn nicht etwa lesen, ich wollte nur sehen, ob er da war. Dann las ich zufällig auf Ihrem Notizblock den Vermerk ›Vater schreiben‹ – ich komme mir vor wie ein richtiger, häßlicher Spion. Aber ich habe nicht für mich spioniert –.«
»Aber warum denn?« fragt sie hilflos. »Sie hätten mich doch nur zu fragen brauchen.«
»Es ist«, sagt er verdrießlich und scheuert sich seine Nase, »gewissermaßen ein ärgerlicher Fall. Ich hatte mir ausgedacht, ich wollte Ihnen erzählen, daß der Förster bettlägerig geworden ist und daß wir darum an den Herrn Geheimrat schreiben müssen, was nun werden soll. – Aber es wäre Schwindel. Der Förster ist zwar wirklich krank, aber die Forst braucht uns darum keine Sorge zu machen.«
»Und was ist nun wirklich?« fragt sie.
»Ja, das ist es eben, ich habe mein Wort gegeben, Ihnen, keinem etwas zu sagen. Ich habe es tun müssen«, sagt er eifriger, »sonst hätte ich gar nichts erfahren.«
»Aber was ist denn nur?« fragt sie unruhig. »Sollen denn immer wieder neue Sorgen kommen?« – Sie steht auf, sie läuft hin und her. »Können Sie mir denn gar nichts sagen, Herr Pagel?«
»Ich möchte Sie etwas fragen, gnädige Frau. Hat Ihnen Ihr Herr Vater seit seiner Abreise geschrieben?«
»Ja«, sagt sie. Also es ist etwas mit Papa, überlegt sie, aber ihr Ton ist leichter. Dies nimmt sie nicht schwer.
»Haben Sie geantwortet?«
»Nein, ich habe ihm nicht geantwortet«, sagt sie kurz. Er merkt, sie ärgert sich schon in der Erinnerung an den Brief.
Sie sieht ihn abwartend an, aber er fragt nichts mehr. Erscheint alles gesagt zu haben, was er sagen wollte. Endlich entschließt sie sich: »Herr Pagel, ich will es Ihnen erzählen. Papa verlangt, daß ich mich von Herrn Rittmeister scheiden lasse. Er hat es schon immer gewollt, er liebt seinen Schwiegersohn nicht …«
Pagel nickt langsam …
»Aber kann ich es denn?!« ruft sie. »Kann ich ihn denn so sitzenlassen? Ich brauche Ihnen doch nichts zu erzählen«, sagt sie hastig. »Sie kennen ihn doch auch. – Aber läßt man denn seine Freunde sitzen, wenn sie in der Not sind?! Ja, wenn er gesund wäre, wenn ich irgendwie sähe, daß er ohne mich leben könnte. Aber so –
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