Wolf unter Wölfen
dazwischengekommen. Es bestehen wohl Pläne –«
»Ja, wir sollen fort von hier!«
»Aber sie sind im Augenblick nicht durchführbar. Wenn wirklich etwas vorfällt, gebe ich Ihnen sofort Nachricht.«
Er sieht sie einen Augenblick nachdenklich an. Dann sagt er noch: »Sie brauchen sich auch nicht mit einem Brief an Ihren Herrn Vater zu plagen. Da Sie doch nicht tun können, was er wünscht, ist es ebensogut, Sie schreiben nicht.«
»Ich danke Ihnen, Herr Pagel«, sagt sie. »Ich danke Ihnen für alles.« Sie gibt ihm die Hand, sie lächelt ihm zu. »Es hat mir gutgetan, mit Ihnen zu reden.« Und mit jenem plötzlichen, unerklärlichen Übergang der Frauen: »Aber nun müssen Sie mir auch einen Gefallen tun, Herr Pagel!«
»Ja, bitte?« sagt er. »Gerne.«
»Dulden Sie dieses Frauenzimmer, die Backs, nicht um sich! Sie sollen ja sogar mit ihr essen, und sie soll ewig imBüro bei Ihnen sitzen. Ach, seien Sie mir doch nicht böse, Herr Pagel!« ruft sie hastig. »Ich mißtraue Ihnen ja gar nicht. Sie merken natürlich nicht, daß das Mädchen verliebt in Sie ist …«
»Amanda Backs ist nicht verliebt in mich, gnädige Frau«, sagt Pagel. »Ich tu ihr nur gut – sie ist nämlich ein sitzengelassenes Mädel.« Rascher: »Und mir tut sie auch gut. Das Leben in Neulohe ist manchmal ein wenig viel für einen so jungen Mann wie mich. Ich habe manchmal auch gerne einen Menschen um mich, mit dem ich ein Wort reden kann.«
»Ach Gott, Herr Pagel!« ruft sie ehrlich bestürzt aus. »So habe ich es nun wirklich nicht gemeint! Ich habe doch nur gemeint, die Backs, weil sie mit dem Meier – der ist doch wirklich ein Lump …«
Pagel sieht sie an, aber sie merkt nichts. Sie merkt wirklich nichts. Sie findet keinerlei Parallelen.
»Sobald ich die Backs sehe, werde ich ihr ein Wort sagen«, meint sie versöhnlich. »Ich glaube, ich habe ein- oder zweimal ihren Gruß nicht erwidert. Es tut mir jetzt wirklich leid …«
Draußen auf der Diele fängt die Uhr an zu schlagen, sie schlägt Mitternacht.
»Kommen Sie, Herr Pagel«, ruft Frau von Prackwitz eifrig, »machen Sie, daß Sie ins Bett kommen! Es ist wirklich zu spät für Sie! Ich glaube es Ihnen schon, daß die Wirtschaft manchmal ein bißchen viel für einen alleine ist. Schlafen Sie sich morgen früh einmal gründlich aus. Lassen Sie die Leute nur alleine wursteln, ich bin mit allem einverstanden. Ich erlaube es Ihnen. – Gute Nacht, Herr Pagel, und nochmals schönen Dank.«
»Gute Nacht, gnädige Frau«, sagt Pagel. »Ich habe zu danken.«
»Also bestimmt ausschlafen!« ruft sie noch hinter ihm drein.
Pagel lächelt für sich im Dunkeln. Er nimmt es ihr nicht übel, in vielen Dingen ist diese kluge, erwachsene Frau wie ein Kind. Bei Arbeit denkt sie immer noch an so etwas wieSchularbeiten. Man kann wenig aufbekommen, der Lehrer kann aber auch mal einen ganzen Tag freigeben – und dann freut sich das Kind! Sie hat noch nicht begriffen (und wird es wohl nie begreifen), daß das Leben, daß jeder Tag seine Aufgabe stellt, die einem nicht erlassen werden kann.
Oben im Beamtenhaus ist ein weißer Schatten im Fenster. Die getreue Wächterin hat sich um seinetwillen gesorgt.
»Alles in bester Butter, Amanda«, sagt Pagel halblaut nach oben. »Sophie hat sich umsonst angestrengt. Schlafen Sie ein, wärmen Sie sich und wecken Sie mich morgen früh erst um halb sechs – aber mit einem Mokka.«
»Gute Nacht, Herr Pagel«, klingt es von oben.
9
Am nächsten Morgen ereignet sich vor der Villa folgendes: Frau von Prackwitz sitzt schon im Wagen, sie gibt Oskar ihre Weisungen – da tut sich die Tür der Villa auf. Heraus tritt der Rittmeister, gefolgt von seinem Pfleger.
Der Rittmeister geht mit einem gehemmten, seltsam stolprigen Schritt an die Wagentür. Der Pfleger Schümann bleibt oben auf der Treppe stehen.
Mühsam, wie ein schuldbewußtes Kind, mit gesenkten Augenlidern, fragt der Rittmeister: »Darf ich vielleicht mit dir fahren, Eva? Bitte!«
Frau Eva ist so bestürzt, daß sie nicht weiß, was sie antworten soll. Sie wirft einen fassungslosen Blick zu dem Pfleger hinüber. Herr Schümann nickt nachdrücklich mit dem Kopf.
»Aber, Achim!« ruft die gnädige Frau. »Wird es dir auch nicht zuviel?!«
Er schüttelt den Kopf, er sieht sie an. Seine Augen sind voller Tränen, sein Mund zittert.
»Ach, Achim!« ruft sie. »Achim – ich bin ja so glücklich! Paß auf, es wird noch alles wieder gut. Wir zwei alten Leute. –Steh doch nicht, setze dich doch hier
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