Wolf unter Wölfen
Wochen. Diese ewigen Fahrten mit ihrem qualvollen, irrsinnigen Hoffen, der dumpfen Rückfahrt, dieses verzehrende Warten auf etwas, das nie eintritt, diese qualvolle Ungewißheit tagaus, tagein, der die schlimmste Gewißheit vorzuziehen gewesen wäre – all das hat ihre Züge scharf gemacht.
Ihr Auge, dies sonst so freundliche, frauliche Auge, hat einen trockenen, brennenden Blick.
Aber es ist nicht nur dies allein: Seit Frau Eva sich nicht mehr pflegt, nicht mehr regelmäßig ißt, hat ihre sanfte Haut mit den blonden Tönen des Pfirsichs etwas Schlaffes, Zerfallenes bekommen; der Hals hat Falten, die Backen hängen …Diese veränderte Frau hat auch eine andere Sprache. Sie konnte früher so schön lachen, sie war eine Frau im Einklang mit sich und der Welt. Ihre Stimme hatte etwas Reifes, Schmelz und Schwingung … Vorbei, vorbei … Ein eiliges, fast tonloses und scharfes Gerede – die Stimme klingt, als sei ihr die Kehle ausgedörrt.
Mit dieser scharfen, leisen Stimme wird Wolfgang ein trockenes »Guten Abend« gesagt. Die gnädige Frau bleibt auf der Diele stehen, sie mustert ihn mit bösen Augen, sie sagt dann eilig: »Es tut mir sehr leid, Herr Pagel, aber ich kann das unmöglich dulden. Ich höre heute, Sie haben schmutzige Weibergeschichten, Sie nutzen Ihre Stellung aus, um Mädchen zu zwingen …«
Oh, die Frau, die arme, veränderte gnädige Frau! Gewiß tut es ihr nicht leid, sondern sie ist wütend, sie ist rachgierig. Diese Frau Eva, noch vor ein paar Wochen bereit, überall ein lächelndes Auge zuzudrücken, jetzt muß sie ihre Tochter an den Männern rächen! Es ist alles schmutzig – Schmutz, Schmutz, wohin sie sieht, aber in ihrer Nähe duldet sie ihn nicht! Nichts mehr von diesen Dingen, Schluß damit, alles Dreck und Gemeinheit!
Pagel hält dem harten Blick der bösen Frau stand, er lächelt, in seine Augenwinkel treten die Fältchen: Er kann nicht ernst sein. Er steht auf der andern Seite, er denkt gewissermaßen objektiv, er kann nicht begreifen, daß eine Frau, die vor Sorgen um die eigene Tochter fast umkommt, sich nun noch mit Klatsch abgibt … Er bewegt lächelnd den Kopf von rechts nach links. Er sagt freundlich: »Nein, gnädige Frau, ich bin ganz sicher, ich habe keine schmutzigen Weibergeschichten.«
»Aber mir ist es gesagt worden!« ruft die gnädige Frau. »Sie haben …«
»Warum sollen wir uns denn anhören, was gelogen wird?« sagt Pagel unverändert freundlich. »Da ich doch eben keinerlei Weibergeschichten habe? Ich möchte wirklich nicht, daß wir länger von diesen Dingen reden, gnädige Frau.«
Frau von Prackwitz macht eine ungeduldige Bewegung, denn grade das möchte sie. Ein Haß in ihr, eine Wut treibt sie, dem jungen Kerl da ins Gesicht zu sagen, was sie von ihm gehört hat. Und dann möchte sie Erklärungen hören, Entschuldigungen – am liebsten aber ein Geständnis!
Pagel aber dreht sich rasch um, er hat längst verstanden, warum diese Unterredung hier auf der Diele geführt wird. Richtig, in der Einmündung, der Küchentreppe aus dem Souterrain steht die Sophie Kowalewski. Sie macht eine Bewegung, sich zu verstecken, aber es ist schon zu spät.
»Kommen Sie nur vor, Sophie!« ruft Pagel. »Sie sind die einzige, von der ich die Geschichte hören möchte. Erzählen Sie bitte hier vor der gnädigen Frau, was Sie getan haben, damit Sie nicht Kartoffeln buddeln müssen.«
Frau Eva wird langsam rot, sie macht eine Bewegung, um den jungen Mann anzuhalten. Aber er geht schon auf das Mädchen los, gar nicht drohend, nein, gemütlich, freundschaftlich …
»Nun, Sophie«, sagt er. »Komm, mein Mädchen, erzähl, erzähl. Oder noch besser: Mach mal hier bei der gnädigen Frau vor, wie du mir dein Knie zeigen wolltest! Na, wird es –?!«
Hier erweist sich, daß Sophie Kowalewski nichts Ganzes ist, nicht im Guten und nicht im Bösen. Sie ist ausgerutscht, sie ist unter die Räder gekommen schön, schlimm, aber sie ist nicht einmal richtig schlecht geworden. Sie hat nicht einmal den Mut zu ihren Bosheiten, sie ist feige …
Trotzdem der junge Pagel doch ganz gemütlich auf sie zukommt, stößt sie plötzlich einen Angstschrei aus. Sie dreht sich um, sie läuft die Küchentreppe hinunter, klapp! geht die Tür, fort ist sie –!
Pagel kehrt zurück zu Frau Eva. Nein, nun zeigt er nichts mehr von dieser prahlenden Unbekümmertheit, er sagt erklärend, fast entschuldigend: »Ich hatte ihr nämlich aufgegeben, morgen früh zur Kartoffelernte anzutreten. Ihre
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