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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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und nun ist es gar nicht so schlimm …
    Nicht einen Augenblick lang glaubt der Förster, er könnte mit dem Leben davonkommen. Er hat es ja krachen hören, der muß ihm ja den Schädel eingeschlagen haben, der Lump, der Bäumer. Hat der ihn also doch noch erwischt! Es tut nicht sehr weh, es ist mehr wie ein Druck … Und dann ist das da, was stört, das Warme, das über seinen Schädel läuft. Das ist das Blut, das aus ihm rinnt. Er merkt es, er wird so leicht davon, es ist gar nicht unangenehm …
    Sind die Kerle eigentlich weg? denkt der Förster erst jetzt.
    Er lauscht, er hört nichts. Es ist ganz still, kein Schritt, kein Huschen; kein Ästchen knackt.
    Mühsam bewegt er den Kopf hin und her, er kann die Augen nicht recht drehen, er muß den ganzen Kopf bewegen. Aber er sieht niemand, sie sind weg. Haben gedacht, ich bin hinüber, denkt der Förster. Aber so schnell ist es nun doch nicht gegangen!
    Er liegt eigentlich ganz gut so, der alte Förster Kniebusch, er hat schon schlechter gelegen in seinem Leben. Ihm ist einbißchen schwer, und ihm ist ein bißchen leicht, die Glieder werden schwer, aber der Kopf und irgend etwas in seiner Brust werden immer leichter.
    Er denkt einen Augenblick nach, ob er etwas tun soll, was er tun soll … Aber warum soll er eigentlich etwas tun –?
    Die Kälte wird zwar immer stärker, die von den Enden der Glieder aufsteigende eisige Kälte, aber das läßt sich schon aushalten, und schließlich werden ja im Laufe des Vormittags Leute zu den Mieten kommen, er liegt nahebei, er braucht nur zu rufen. Dann finden sie ihn, tragen ihn heim, legen ihn in sein Bett – er hat immer gewünscht, in seinem Bett zu sterben.
    Der alte Förster, dem die letzte Lebenskraft langsam aus seiner schrecklichen Schädelwunde sickert, schiebt einen Arm unter den Kopf, fast behaglich liegt er da. Es ist alles nicht so schlimm, denkt er noch einmal. Wenn man wüßte, wie wenig schlimm selbst das Schlimmste ist, man brauchte im Leben überhaupt keine Angst zu haben!
    Er versucht auszurechnen, wann die Leute etwa zu den Mieten kommen werden; die Kartoffeln für den Schweinemeister müssen geholt werden. Es kann höchstens noch zwei Stunden dauern, so lange wird er ja noch das Leben haben, damit er im eigenen Bette sterben kann …
    Aber der Pagel! fällt dem Förster plötzlich ein. Mein Freund Pagel wird auf mich warten! Alle Morgen bin ich zeitig bei ihm gewesen und habe ihm die Löcher in den Mieten gemeldet – und heute komme ich nicht! Pagel wird mich vermissen!
    Er schließt die Augen, es ist für den verbrauchten, mühseligen Mann ein süßes Gefühl, daß ihn doch einer vermissen wird. Er hört ihn die Backs fragen; er schließt die Augen, er hört den Klang der immer freundlichen jungen Stimme: Wo bleibt denn heute bloß unser alter Kniebusch? Er hat doch noch nicht seine Meldung gemacht, Amanda!
    Er lächelt.
    Aber dann richtet er sich gleich auf. Ein quälendes Gefühlfängt an, sich in ihm zu regen: Er hat ja noch nicht seine Meldung gemacht! Heute hat er wirklich etwas zu melden, und heute bleibt er aus!
    Sie werden mich ja doch bald finden! will er sich trösten.
    Aber der Trost verfängt nicht. Ich werde ja immer schwächer, denkt er. Ich werde ja immer kälter. Vielleicht kann ich nachher nicht mehr rufen, ich kann nicht mehr reden – zu spät werden sie mich finden!
    Er versucht den Kopf wegzurücken. Er möchte aus der Menge des ausgeronnenen Blutes die Menge des ihm noch verbliebenen Lebens abschätzen, aber er kann es nicht, es ist zu mühsam.
    Ein schrecklicher Kampf fängt in ihm an: der Sterbende möchte nur ruhig liegen, sich sanft fortrinnen fühlen, seine Ruhe haben … Und der Mann und der Freund sagen, daß er auf muß und seine Meldung machen. Der Bäumer ist wieder da und ein anderer, ein Unbekannter – zwei gefährliche Leute, zwei reißende Wölfe!
    Ich kann ja nicht hin! jammert er. Ich kann ja nicht gehen!
    Wenn du nicht gehen kannst, wirst du kriechen, spricht die erbarmungslose Stimme.
    Ich habe nie in meinem Leben Ruhe gehabt, laß mich doch wenigstens in Ruhe sterben! bettelt er.
    Im Grabe wirst du Ruhe haben, jetzt mach deine Meldung! spricht es ohne Gnade.
    Und der alte Mann, der verbrauchte Mann, der Feigling, der Schwätzer – er wälzt sich auf den Bauch, er macht den Rücken krumm, er zieht die eisigen Glieder an sich. Der Wille, der erbarmungslose Wille der Pflicht ist es, der ihn gegen sein ganzes Naturell immer hochgehalten hat. Er jagt ihn noch einmal

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