Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
Vom Netzwerk:
Tage sein Futter haben wollte, was den Förster rasch wieder aus dem Bett trieb.
    Vielleicht war es am stärksten »sie«, seine Frau, die ihm die Stube verleidete. Da hatten sie nun ein ganzes Leben Seite an Seite verbracht – ach, sie waren sich ja so zuwider geworden, sie konnten sich nicht mehr sehen! Nein, sie sahen sich wirklich nicht mehr, Tag für Tag gingen sie aneinander vorüber, ohne ein Wort miteinander zu sprechen. Jetzt ging er in die Küche, er kochte sich seinen Kaffee und schmierte sich sein Brot, und dann, wenn er aus der Küche hinaus war, kam sie angeschnauft und kochte sich ihren Kaffee und schmierte sich ihr Brot.
    Es war der äußerste, unüberwindliche Überdruß. Sie warenlängst über Ekel, Haß und Abneigung hinaus, sie waren füreinander überhaupt nicht mehr da! Schon lange nicht mehr! Ehe er noch den Mund aufgemacht hatte, wußte sie schon, was er sagen würde, und er wußte alles, alles von ihr, wie ihr Erbsen bekamen und daß sie bei Südwind auf dem linken Ohr nicht hörte und daß Neunaugen mit einem Lorbeerblatt viel besser schmecken als Neunaugen ohne ein Lorbeerblatt.
    »Ziehen Sie doch in ein anderes Zimmer«, schlug Pagel vor. »Es sind doch leere Zimmer genug im Haus.«
    »Aber mein Bett hat doch immer hier im Zimmer gestanden! Ich kann es doch auf meine alten Tage nicht mehr umstellen. Ich würde nie einschlafen!«
    »Dann gehen Sie eben ein bißchen spazieren«, antwortete Pagel. »Frische Luft und ein wenig Bewegung können Ihnen nur guttun, meint der Arzt.«
    »Ja, meint er das wirklich?« fragte der Förster ängstlich. »Dann will ich es auch tun.«
    Er war sehr bereit, alles zu tun, was der Arzt anordnete. Der Arzt hatte ihm viel Gutes verschafft: Arbeitsruhe, Krankengeld, ein schönes Mittel, das zu sorglosem Schlaf verhalf. Und er hatte noch viel Besseres versprochen: das Ende der Inflation, Pensionierung, einen ruhigen Lebensabend.
    Also ging der Förster spazieren. Aber gleich wurde es auch mit dem Spazierengehen wieder schwierig. In den Wald, der direkt an das Haus stieß, ging der Förster Kniebusch um keinen Preis mehr. Er hatte genug Wald in seinem Leben gesehen, viel zuviel. Er sah wirklich den Wald vor Bäumen nicht. Er sah nur noch Bäume mit soundso viel Festmetern Holz, Eisenbahnschwellen, Felgenholz, Deichseln für den Stellmacher, Zaunpfähle … Und wenn er im Wald spazierenging, sah es ja so aus, als sei er gar nicht krank, als mache er Dienst. Es wäre genauso gewesen, wie wenn ein kranker Angestellter zur Erholung auf sein Büro gegangen wäre.
    Nach der andern Seite zu aber, nach dem Dorf hin, gingder Förster auch nicht. Die Leute hatten ihm sein ganzes Leben lang nachgesagt, er sei bloß ein Tagedieb, der nichts tue als spazierengehen, das sah ja aus, als hätten die Leute am Ende wirklich recht!
    So blieb ihm nur ein Weg, nämlich der Weg, der von der Försterei, am Kartoffelmietenplatz vorbei, ziemlich grade auf den Gutshof Neulohe zuführte, auf den Gutshof und auf das Beamtenhaus. Diesen einzigen Weg ging also der Förster, er ging ihn mit großer Regelmäßigkeit, mehrmals am Tage, und mit größter Regelmäßigkeit traf der Förster am Ende des Weges mehrmals am Tage auf dem Gutsbüro ein.
    Dem Förster war es geschehen, daß er in hohem Alter noch einen wirklichen Freund gefunden hatte – und diesen guten Glauben wollte Pagel nicht enttäuschen. Er seufzte manchmal, wenn er den Förster wieder ankommen sah, wenn der alte Mann sich schnaufend auf einen Stuhl setzte und nun eine halbe Stunde lang kein Auge von dem jungen Beamten ließ. Er störte ja nicht grade, er sagte kein Wort, wenn Pagel beschäftigt war, er ließ sich höchstens einmal zu einem begeisterten Ausruf hinreißen. Etwa, wenn Pagel auf der Schreibmaschine schrieb –: Nein, wie ihm das von der Hand geht! Wie Maschinengewehrfeuer! Großartig!
    Nein, er störte nicht grade, aber es war ein bißchen lästig, den Blick dieser kugeligen, verblaßten Seehundsaugen unverwandt auf sich gerichtet zu fühlen, einen Blick bedingungsloser Ergebenheit, begeisterter Freundschaft. Es war vielleicht grade darum lästig, weil Pagel dieses Gefühl so gar nicht erwiderte. Nein, er liebte den Förster, diesen alten Angsthasen, nicht besonders – und was hatte er am Ende getan, solche Freundschaft zu verdienen? So gut wie nichts: ein Telefonat mit dem Arzt, ein bißchen Deputat, zwei, drei kurze Krankenbesuche …
    Wenn’s gar zu schlimm wurde, unterbrach Pagel seine Arbeit: »Kommen Sie, Herr

Weitere Kostenlose Bücher