Wolf unter Wölfen
Entschuldigung. – Meine Schwesteraber und mein Schwager müssen ja wahnsinnig sein. Was die hier angerichtet haben, das verzeiht ihnen mein Vater nie. Wozu braucht sie denn soviel Geld? Ein paar hundert Mark würden für die ersten Wochen genügen – und dann einigt sie sich eben mit meinem Vater irgendwie. Ganz blank wird er sie ja auch nicht sitzenlassen.«
»Wie ich gestern Ihre Frau Schwester am Telefon verstand«, sagte Pagel vorsichtig, »scheint sie die Absicht zu haben, ein Geschäft zu kaufen.«
»Ein Geschäft!« rief der Erbsohn. »Ja, will denn Eva Verkäuferin werden?«
»Ich weiß es nicht. Aber jedenfalls scheint sie den Wunsch zu haben, ein kleines Anfangskapital in die Hand zu bekommen. Mir ist selbstverständlich klar, daß das, was ich jetzt für Frau von Prackwitz tue, gesetzlich nicht zulässig ist. Aber sie hat die feste Absicht, nie wieder nach Neulohe zurückzukehren. Sie leistet gewissermaßen auf ihr Erbteil Verzicht, und da habe ich gemeint, man könnte diese Unregelmäßigkeit verantworten.«
»Sie meinen«, rief Herr von Teschow der Jüngere lebhaft, »sie würde Neulohe ausschlagen?«
»Ich glaube das. Nach den Erlebnissen der letzten Zeit …«
»Ich verstehe«, sprach Herr von Teschow. »Gewiß, sehr traurig. – Von meiner Nichte Violet gibt es keine Nachrichten?«
»Nein«, antwortete Pagel.
»Ja, ja«, sagte Herr von Teschow gedankenvoll. »Ja, ja.«
Er stand auf. »Also ich bitte Sie nochmals um Entschuldigung. Blinder Alarm – mir hatte da jemand was in die Ohren geflüstert. – Ich bin – unter uns – ganz Ihrer Ansicht. Sehen Sie, daß Sie für meine Schwester noch ein ordentliches Stück Geld herausschlagen. Es ist ja nun doch egal: Mein Vater wird auf alle Fälle toben, ob die Dreschmaschine da ist oder nicht. Achthundert Rentenmark«, sprach er sinnend. »Ich könnte sie auch dafür nehmen. Aber nein, es geht leider nicht.« Lauter: »Es ist Ihnen natürlich klar, Herr Pagel, daßich bei meinem Vater nicht die Partei meiner Schwester nehmen kann – ihr Vorgehen ist jedenfalls nicht korrekt.«
Mit fast unverhohlenem Ekel sah Pagel in die Augen des andern. Er meinte, nie etwas so Häßliches gehört zu haben wie die Frage: Von meiner Nichte Violet nichts Neues? – als dem jungen Herrn von Teschow klargeworden war, wieviel es jetzt vielleicht zu erben gab.
Aber Herr von Teschow der Jüngere merkte von diesem Ekel nichts. Er war viel zu beschäftigt, um auf den jungen Mann zu achten. Er sagte verloren: »Na, dann sehen Sie also, daß Sie noch etwas rausschlagen. Ich denke, mein Vater wird erst in drei oder vier Tagen kommen.«
»Schön«, sagte Pagel.
»Na, ob das für Sie grade schön werden wird –? Aber jedenfalls sind Sie gegen das Schlimmste gedeckt. – Sie kennen meinen Vater noch nicht, wenn der richtig tobt …«
»So werde ich ihn also kennenlernen«, sagte Pagel lächelnd. »Ich warte es in Ruhe ab …«
Aber darin irrte sich Wolfgang Pagel. Er sollte es nicht kennenlernen, dieses Toben. Er wartete es nicht in Ruhe ab.
Er war schon weg, als der Geheimrat kam.
»Ausgerissen, so ein schlauer Hund!« lachten die Leute.
6
Es fing damit an, daß das Telefon läutete auf dem Büro.
Wolfgang Pagel war grade dabei, eine telegrafische Postanweisung auszuschreiben an die gnädige Frau, und Amanda Backs war eine Treppe darüber damit beschäftigt, sich warm und wetterdicht einzupacken für eine Radfahrt durch Winterwind und Herbstregen nach der Kreisstadt. Denn dort auf dem Postamt mußte die Anweisung aufgegeben werden, und die beiden einsamen Hühner wußten niemanden sonst in Neulohe, dem sie das Geld gerne anvertraut hätten, runde zweitausend Rentenmark …
Da also klingelte das Telefon …
Das Telefon klingelt verschieden, es klingelt mal hell, mal dunkel, mal nüchtern und gleichgültig und nun wieder herrisch und eilig … Und danach haben wir unsere Vorahnungen, was das für ein Gespräch sein könnte, und manchmal treffen unsere Vorahnungen sogar ein …
Pagel sah kurz auf zu dem dunkel und herrisch klingelnden Apparat –: Das ist etwas! dachte er, nahm den Hörer ab und meldete sich als Gutsverwaltung Neulohe.
Eine ziemlich grobe Stimme verlangte Frau von Prackwitz zu sprechen.
»Frau von Prackwitz ist nicht zu sprechen«, antwortete Pagel. »Frau von Prackwitz ist verreist.«
»So«, sagte die grobe Stimme, wie es schien, etwas enttäuscht. »Ausgerechnet jetzt ist sie verreist. Wann kommt sie denn zurück?«
»Das kann ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher