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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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können Sie sich demütigen, wie?!« rief er zornig. »Vor dem Sklaven zeigt die Königin sich auch nackt, ja?! Ein Sklave ist kein Mensch, was!?«
    Sie wich vor seiner Empörung zurück, schneeweiß, zitternd.
    »Da!« rief Pagel und zeigte. »Da nebenan in meinem Bettist gestern morgen der Förster Kniebusch gestorben, in Ihrem Dienst, gnädige Frau! Sie müssen ihn seit Ihrer Kinderzeit gekannt haben; seit Sie denken, seit Sie sprechen können, ist der Mann für Sie und Ihre paar Mark gelaufen, hat Angst gehabt, hat sich gequält – haben Sie überhaupt danach gefragt, was er gelitten hat, wie er gestorben ist, wie er sich gequält hat?! Nur mit einem Wort –? Neulohe ist für Sie zur Hölle geworden –?! Haben Sie je daran gedacht, was für eine Hölle es für diesen alten Mann gewesen ist – und er, er konnte nicht ausreißen – er ist auch nicht ausgerissen! Fast auf dem Bauche kriechend, hat er bis zur letzten Minute seine Pflicht getan …«
    Sie stand mit einem weißen Gesicht zitternd an der Wand. Sie starrte ihn groß an …
    »Die Fahne verlassen? Feige sein –?« rief er immer wilder und fühlte immer stärker, wie seine Nerven nachgaben, und wollte es nicht und mußte es doch sagen, endlich sagen, endlich einmal sagen. »Was wissen Sie denn von Feigheit und Mut?! Ich habe auch einmal gedacht, ich wüßte etwas davon. Ich habe einmal geglaubt, Mut wäre das, aufrecht zu stehen, wenn eine Granate platzt, einen Granatsplitter zu apportieren … Jetzt weiß ich, das ist bloß Dummheit und Tollkühnheit; Mut heißt aushalten, wenn etwas ganz unerträglich ist. Mut, Mut hat der alte Feigling gehabt, der da drinnen gestorben ist.«
    Er warf einen raschen, hellen Blick auf sie. Er sagte: »Aber es muß eine Sache sein, um die es sich verlohnt, Mut zu haben. Es muß eine Fahne dasein, für die es wert ist zu kämpfen. Wo ist denn Ihre Fahne, gnädige Frau? Sie fliehen ja als erste!«
    Ein langes, trübes, schweres Schweigen entstand. Dann rührte sich Pagel. Er ging langsam zu seinem Schreibtischstuhl, er setzte sich, er stützte den Kopf in die Hand. Nun gut, jetzt hatte er geredet, alles, was sich in den letzten Wochen angesammelt hatte war ausgesprochen – und was weiter?
    Die Frau löste sich von der Wand, sie ging leise zu ihm hin, sie legte ihm sachte die Hand auf die Schulter: »Herr Pagel!« sprach sie ihn leise an. »Herr Pagel – es ist sicher wahr, was Sie gesagt haben. Ich bin selbstisch und feige und gedankenlos – ich weiß nicht, ob ich erst so geworden bin, aber so bin ich. Sie haben recht. Aber Sie sind das doch nicht, Herr Pagel, Sie sind doch anders, nicht wahr –?«
    Sie wartete lange, aber er antwortete nicht. Die Schulter unter ihrer Hand rührte sich nicht.
    »Seien Sie noch einmal, was Sie waren bisher: jung, gläubig, aufopfernd. Nicht für mich, Herr Pagel, ich habe wirklich keine Fahne für Sie. Aber ich habe die Hoffnung, daß Sie noch so lange hier in Neulohe bleiben, bis meine Eltern wiederkommen. Ich möchte Sie bitten, in die Villa zu ziehen. Herr Pagel – ich habe noch immer die Hoffnung, daß Violet einmal dort an die Tür klopft … Gehen nicht auch Sie weg! Lassen Sie den Hof nicht ganz freundlos sein, wenn sie kommt …«
    Wieder lange Stille. Aber eine andere Art von Stille, etwas Wartendes. Frau von Prackwitz nahm die Hand von seiner Schulter, sie tat einen Schritt zur Tür. Er schwieg. Sie tat einen zweiten, einen dritten Schritt, sie hatte die Hand auf der Klinke – da fragte Pagel: »Wann wird Ihr Vater kommen?«
    »Ich habe einen Brief an ihn im Wagen. Ich stecke ihn heute noch in Frankfurt ein. Ich nehme an, mein Vater wird gleich kommen, wenn erfährt, daß wir abgereist sind. Also etwa in drei, vier Tagen.«
    »Ich bleibe bis dahin«, erklärte Pagel.
    »Ich danke Ihnen. Ich wußte es ja.«
    Aber sie ging nicht, sie zögerte, sie wartete …
    Er machte es ihr leicht. Er war aller Umschweife müde. »Dann ist da noch die Sache mit Ihrem Geld«, sagte er kurz. »Ich habe etwa hundert Rentenmark in der Kasse, die werde ich Ihnen geben. In den nächsten Tagen werde ich alles verkaufen, was zu verkaufen ist – wissen Sie schon, wo Sie bleiben?«
    »In Berlin.«
    »Wo dort?«
    »Erst einmal in einem Hotel.«
    »Studmanns Hotel. Hotel Regina«, sagte er. »Ich werde Ihnen das Geld täglich telegrafisch in das Hotel senden … An welchen Betrag hatten Sie etwa gedacht?«
    »Ach, nur ein paar tausend Mark – nur, daß wir einen Anfang haben.«
    Er zuckte nicht.

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