Wolf unter Wölfen
schmeichelt ihr, kostet nichts, betont den Abstand und erlaubt alles. Man kann ihr in den Ausschnitt gucken und dabei voller Demut »jawohl, gnädiges Fräulein« sagen, man kann es sogar sagen und ihr dabei einen Kuß geben – »jawohl, gnädiges Fräulein« ist ritterlich, kavaliermäßig, schneidig – wie die Offiziere in Ostade, denkt Negermeier.
Er steht jetzt am Fuß ihres Liegestuhls und sieht gehorsam und doch frech blinzelnd auf seine junge Herrin, die da mit nichts als einem sehr kurzen Badeanzug bekleidet vor ihm liegt. Violet von Prackwitz, fünfzehn Jahre, ist schon ein bißchen voll, zu voll mit der schweren Brust, den fleischigen Hüften, dem starken Gesäß, zieht man die Jahre in Betracht. Sie hat das weiche Fleisch, die zu weiße Haut der lymphatischen Mädchen, dazu ein wenig vorstehende Augen wie die Mutter. Sie sind blau, blaßblau, verschlafen blau. Die nackten Arme hat das gute unschuldige Kind erhoben, sie reckt sich ein wenig, es sieht gar nicht schlecht aus, hübsch ist das Luder, und – Donnerwetter – was für ein Körper! Das muß sich einem doch in den Arm schmiegen.
Schläfrig, genußsüchtig durch die fast geschlossenen Lider blinzelnd, betrachtet sie das Gesicht des Inspektors. »Na, was gucken Sie denn so?« fragt sie dann herausfordernd. »Im Familienbad habe ich auch nichts anderes an. Stellen Sie sich bloß nicht so an.« Sie studiert sein Gesicht. Dann: »Na ja, Mama sollte uns hier beide mal so sehen …«
Er kämpft mit sich. Die Sonne brennt irrsinnig heiß, es flimmert, jetzt streckt sie sich wieder. Er macht einen Schritt …: »Ich … Weio, o Weio …«
»O wei! O wei!« lacht sie. »Nee, nee, Herr Meier, stellen Sie sich lieber wieder da bei der Leiter auf.« Plötzlich ganz Herrin: »Sie sind ja komisch! Sie bilden sich wohl was ein? Ich brauche nur einmal zu rufen, und Mama ist an ihrem Fenster!«
Dann, als sie sieht, daß er wieder pariert: »Heute brauchen Sie nicht zur Bahn zu schicken. Wahrscheinlich morgen früh zum ersten Zug. Papa telefoniert noch mal.«
Hat alles vorhin ganz gut verstanden, das freche Luder! Hat sich ihm nur vorführen, ihn quälen wollen! Aber warte, ich kriege dich doch noch!
»Warum lassen Sie denn nicht einfahren?« fragt jetzt das junge Mädchen, die zu Entführende, die heimlich zu Heiratende.
»Weil die Leute binden und aufsetzen müssen.« – Ziemlich mürrisch.
»Und wenn es ein Gewitter gibt und alles wird naß, macht Papa Ihnen einen Riesenkrach.«
»Und wenn es kein Gewitter gibt und ich hab einfahren lassen, macht er mir auch Krach.«
»Es gibt aber ein Gewitter.«
»Das kann man so genau nicht wissen.«
»Ich weiß es aber.«
»Gnädiges Fräulein wünschen also, daß ich einfahren lasse?«
»Ich denke gar nicht daran!« Sie lacht schallend, ihre starke Brust hüpft gradezu im Badeanzug. »Daß Sie mir nachher die Schuld geben, wenn es Papa nicht recht ist! Nein, machen Sie Ihre Dummheiten alleine!«
Sie sieht ihn wohlwollend-überlegen an. Dieses Gör von fünfzehn Jahren ist derart frech –! Warum frech –? Weil sie zufällig eine geborene von Prackwitz, Erbin von Neulohe ist – nur darum frech!
»Dann kann ich also gehen, gnädiges Fräulein?« fragt Negermeier.
»Ja. Kümmern Sie sich mal ein bißchen um die Wirtschaft.« Sie hat sich auf die Seite gewälzt, sieht ihn noch einmal spöttisch an. Er geht schon.
»He, Herr Meier!« ruft sie.
»Jawohl, gnädiges Fräulein?« – Es hilft nichts, er muß.
»Wird eigentlich Dung gefahren?«
»Nein, gnädiges Fräulein …«
»Warum riechen Sie denn so komisch?«
Es dauert eine ganze Weile, bis er kapiert hat, daß sie sein Parfüm meint. Dann macht er wortlos, aber wutrot kehrt und klettert, so schnell er kann, die Leiter hinunter.
So ein Aas! Mit so einem Aas soll man sich gar nicht abgeben! Die Roten haben ganz recht: an die Wand mit dieser ganzen frechen Bagage! Adel! Verdammt noch mal! Frechheit, unverschämte Frechheit … Nichts wie großkotzige Manieren …
Er ist von der Leiter, er ist im Abmarsch, seine kurzen Beine treten wütend die Erde. Da kommt wieder die Stimme von oben, die Stimme aus dem Himmel, die Stimme der Herrin: »Herr Meier!«
Er fährt zusammen. Voller Wut – und wiederum geht es doch nicht anders, voller Wut ruft er: »Jawohl, gnädiges Fräulein?«
Sehr ungnädig kommt es von oben: »Ich habe Ihnen schon dreimal gesagt, Sie sollen nicht so schreien, Mama schläft!« Und ungeduldig: »Kommen Sie noch mal rauf!«
Meier
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