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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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macht mit!) Klebt wieder zu. Die Abschrift des Briefes legt er in den Band 1900 des amtlichen Kreisblattes, den Brief steckt er wieder in die Joppentasche. Und nun ist er völlig zufrieden. Und völlig fertig für die Wirtschaft. Er sieht auf das Barometer. Es ist wieder ein bißchen gefallen.
    Ob es doch noch ein Gewitter gibt? Ob ich doch noch einfahren lasse? Ach Quatsch, die redet ja bloß Unsinn!
    Er geht ab zu seiner Mähmaschine.

7
    »Dachte ich es mir doch, daß du mich heute noch aufsuchen würdest, meine liebe, meine arme Mathilde!«
    Frau von Anklam, verwitwete Generalmajor, über Siebzig, schneeweiß, unförmlich dick, ist aus ihrem tiefen Sessel, in dem sie ihren Nachmittagsschlaf hielt, mühsam emporgetaucht. Mit beiden Händen hält sie die Hand der Besucherin und sieht ihr teilnehmend-besorgt mit den großen braunen, immer noch schönen Augen ins Gesicht. Vorläufig spricht sie nur getragen – wie bei einem Todesfall. Sie kennt aber auch noch eine andere Tonart, die der Regimentskommandeuse, die sämtliche Damen des Regiments in Zucht, Ordnung und Anstand hielt.
    »Wir werden alt, aber unsere Last wird nicht leichter. Unsere Kinder, solange sie jung sind, treten sie auf unsern Schoß. Später dann auf unser Herz.«
    (Frau von Anklam hat nie Kinder gehabt. Sie konnte Kinder auch nie ausstehen.)
    »Komm, setze dich hier auf das Sofa, Mathilde. Ich klingele – Fräulein bringt gleich Kaffee und Kuchen. Ich habe heute den Kuchen von Hilbrich holen lassen, er hat doch immer den besten. Nur lohnt es nicht recht für mich allein – vierzigtausend Mark Fahrgeld, verstehst du, vierzigtausend! Räuber sind das! – Ja, Fräulein, Gebäck und Kaffee, recht kräftig, meine Kusine hat eine traurige Nachricht bekommen. – Ja, liebe Mathilde, ich habe da eben in meinem Stuhl gesessen und nachgedacht. Fräulein glaubt, ich schlafe, aber ich schlafe natürlich nicht. Ich höre jedes Geräusch in der Küche, und wenn beim Abwaschen ein Teller zerbrochen wird, bin ich sofort da! Zerbricht deine Minna auch soviel –?Es ist noch das alte Nymphenburger Porzellan, das Großvater Kuno vom hochseligen Herrn zur diamantenen Hochzeit bekam – Gott, es ist ja genug für mich alte Frau da, aber trotzdem, man muß auch an seine Erben denken! Ich hatte es eigentlich Irene versprochen, aber ich bin in letzter Zeit doch wieder schwankend geworden, Irene hat solch seltsame Ansichten über Kindererziehung – direkt, wie soll ich sagen, revolutionär!«
    »Und die Nachricht ist bestimmt richtig, Betty?« fragt Frau Pagel, grade aufgerichtet, dürr – und keine noch so teilnehmende nahe Verwandte konnte ihr ansehen, daß sie Tränen geweint hatte.
    »Die Nachricht? Welche Nachricht? Ach so,
die
Nachricht! Aber liebe Mathilde, ich muß doch sagen, wo ich es dir extra geschrieben habe –!« Dies ziemlich als Kommandierende, aber nun wieder teilnahmsvoll: »Nein, natürlich richtig – der gute Junge, der Eitel-Fritz hatte dort zu tun. Er hat es mit eigenen Augen gelesen, das Aufgebot heißt es ja wohl. Ich weiß allerdings nicht, was er dort zu tun hatte. Ich war so aufgeregt, daß ich ihn nicht danach gefragt habe. Aber du kennst ja Eitel-Fritz, er ist so originell, er geht an die seltsamsten Plätze. – Attention! La servante!«
    »Das Fräulein« erscheint mit dem Kaffeegeschirr, mit dem Tablett, mit dem Nymphenburger von dem diamantenen Großvater. Die Damen verstummen, und lautlos deckt Fräulein, ein ältliches, mausgraues Wesen, den Tisch.
    Es ist immer nur »Fräulein« – alle diese häufig wechselnden Gestalten bei Frau Generalmajor von Anklam sind namenlos. Fräulein deckt und Fräulein stopft, Fräulein liest vor und Fräulein erzählt was, und vor allem: Fräulein hört zu! Fräulein hört zu von morgens bis abends, Geschichten von Regimentsdamen, längst verstorben und vergessen (Ich sage ihr: Liebes Kind, was Takt heißt, bestimme ich!); Geschichten von Kindern, längst im Besitz eigener Kinder (Und da sagt doch dieses süße Engelskind zu mir …); Geschichten von Verwandten, längst verzankten; Geschichten von blauenBriefen und Beförderungen; Geschichten von Orden; Geschichten von Verwundungen; Geschichten von Eheirrungen und von Ehescheidungen – Wust und Gerümpel eines ganz in Klatsch und Tratsch verbrachten Lebens, Intima, Intimissima!
    Fräulein, farblos, mausgrau, hört zu, sagt ja, ach nein!, so etwas!, himmlisch! – aber wenn Besuch bei Exzellenz ist, hört sie nichts, Frau Generalmajor flüstert mit

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