Wolf unter Wölfen
klettert wieder die Leiter hoch, den Bauch voller Wut: Jawohl, als dein Laubfrosch die Leiter rauf und runter, wie du das Wetter machst. Na, warte mal, habe ich dich erst, dich lasse ich bestimmt sitzen, mit Kind, ohne einen Pfennig …
Und doch wieder in strammer Haltung: »Bitte, gnädiges Fräulein …?«
Sie denkt jetzt nicht mehr daran, ihm ihren Leib vorzuführen, sie überlegt, aber sie hat die Sache schon bei sich entschieden. Sie ist nur noch unsicher, wie sie es ihm sagen soll. Schließlich erklärt sie möglichst harmlos: »Sie müssen mir einen Brief besorgen, Herr Meier.«
»Jawohl, gnädiges Fräulein.«
Plötzlich hat sie ihn in den Händen, rätselhaft, woher, einen länglichen Umschlag aus bläulichem Papier, soweit man von Meiers Standpunkt aus erkennen kann, ohne jede Aufschrift …
»Sie gehen heute abend noch ins Dorf –?«
Er ist völlig überrascht und ganz unsicher. Sagt sie das nur so oder weiß sie was? Aber das ist doch unmöglich!
»Ich weiß nicht, vielleicht. Wenn Sie es wünschen, gnädiges Fräulein, jedenfalls!«
»Sie werden nach dem Brief von einem Herrn gefragt werden. Händigen Sie ihn dann aus.«
»Welcher Herr? Ich versteh nicht …«
Sie wird plötzlich ärgerlich, gereizt. »Sie brauchen auch gar nichts zu verstehen. Sie sollen einfach tun, was ich Ihnensage. Ein Herr wird nach dem Brief fragen, und dem geben Sie ihn. Das ist doch ganz einfach!«
»Jawohl, gnädiges Fräulein«, sagt er. Es klingt aber etwas schwach, er ist zu sehr in Gedanken.
»Also«, sagt sie. »Das wäre dann alles, Herr Meier.«
Er bekommt den Brief in die Hand. Er will es noch nicht glauben, aber nun hat er den Brief in der Hand, diese Waffe gegen sie! Warte, mein Schäfchen! Komm du mir noch einmal dumm!
Er reißt sich zusammen. »Wird alles bestens erledigt, gnädiges Fräulein!«
Und er steigt wieder die Leiter hinunter.
»Das wollte ich auch meinen!« klingt ihm von oben ihre Stimme ziemlich herausfordernd nach. »Sonst erzähle ich Großpapa und Papa, wer den Wald angekokelt hat!«
Die Stimme verstummt. Meier ist mitten auf der Leiter haltengeblieben, um nur ja kein Wort zu verlieren.
So! Also! Da hab ich es! So ist das! Angekokelt, sagt sie. Genau ins Herz getroffen. Bravo! Für fünfzehn Jahre vorzüglich. Du kannst was werden! Nee, du kannst so bleiben!
»Und der Herr Leutnant versteht auch schlecht Spaß«, sagt die Stimme noch – und nun hört er, wie sie sich oben mit ihrem fetten, faulen Fleisch auf die Seite wälzt. Der Liegestuhl ächzt. Fräulein Violet von Prackwitz gähnt behaglich dort oben, und Herr Feldinspektor Meier darf unten an seine Arbeit gehen – stimmt, geht in Ordnung, der Kram.
Aber Meier, der kleine Meier, Negermeier, geht noch nicht an seine Arbeit. Ganz langsam, tief in Sinnen, trottet er den Weg zu seiner Bude. Den Brief hat er in der Außentasche seiner schilfleinenen Joppe, und über seine glatte Fläche hat er die Hand gelegt, damit er ihn auch immer fühlt. Er muß fühlen, daß er den Brief wirklich hat, daß er da ist. Diesen Brief, den er gleich lesen wird. Sie hat wenig genug gesagt, dieses kleine, durchtriebene Luder, aber für ihn hat sie genug gesagt. Längst genug! Sie kennt also den Leutnant, diesen rätselhaften, etwas abgerissenen, doch rechtschneidig auftretenden Herrn, der nächtliche Versammlungen beim Schulzen einberuft und vor dem Förster Kniebusch strammsteht. Und sie hat diesen Herrn Leutnant heute zwischen zwölf und drei getroffen, sonst könnte sie von dem Brande nichts wissen.
Wenn aber dieser Herr Leutnant Herrn Feldinspektor Meier so kameradschaftlich zunickte, so nicht darum, weil er den Negermeier für soviel tüchtiger hielt als den alten Knochenfraß Kniebusch, sondern weil er bereits wußte: Meier war zum heimlichen Briefträger ausersehen! Wußte schon recht gut Bescheid, der Herr Leutnant, auf Neulohe! Längeres, heimliches Einverständnis.
Ihr seid schon reichlich weit gekommen, ihr zwei beide! Ich kann mir alles denken. Und wenn ich erst den Brief gelesen habe – dumm bist du ja doch, du hochmütige, alberne Gans! Denkst, ich geb den Brief weiter und seh mir nicht an, was drinsteht! Ich will Bescheid wissen, und dann werde ich schon sehen, was ich da tue. Vielleicht dem Rittmeister alles erzählen – was ist dagegen so ein bissel Waldbrand?! Damit habt ihr mich noch lange nicht an der Strippe. Aber ich denke, ich werde dem Rittmeister gar nichts sagen. Denn du bist ja auch noch so dumm, daß du nicht
Weitere Kostenlose Bücher