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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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einmal merkst, daß so ein Kerl wie der Leutnant dich natürlich sitzenläßt. Da braucht man ihn ja nur einmal anzusehen, um das zu wissen. Aber dann bin ich da – nee, mein Kindchen, mir macht es nichts. An so was stoße ich mich nicht. Junge Pferde einfahren macht wenig Spaß und viel Mühe – besser schon, sie kennen jeden Schritt und Gang! Aber dann sollst du mir bezahlen, für jedes freche, hochmütige Wort, für jedes »Jawohl, gnädiges Fräulein« – und für diesen Brief vor allem! – Wie macht man solchen Brief überhaupt auf? Ich hab gehört, mit Wasserdampf – aber wo krieg ich in der Eile Wasserdampf auf meiner Bude her? Ach was, ich versuch es einfach mit einem Messer, die Klappe loszumachen, und geht der Umschlag kaputt, nehme ich einen von meinen eigenen. Gelb oder blau – danach wird er wohl kaum sehen …
    Er ist angelangt auf dem Büro. Ohne auch nur die Mütze abzunehmen, sinkt er in den Schreibtischstuhl. Er legt den Brief vor sich auf den verbrauchten, tintenfleckigen, grünen Filz. Starrt ihn an. Er ist schweißnaß, seine Glieder hängen von ihm, dabei ist sein Mund trocken. Er ist völlig erschöpft. Er hört die Hühner auf dem Hof glucksen, die Schweizer klappern im Kuhstall mit Eimern und Milchkannen. (Wollte ich mir auch ausgebeten haben – höchste Zeit zum Melken!)
    Der Brief liegt vor ihm. Die Fliegen surren und burren eintönig, es ist unerträglich schwül. Er will einen Blick auf das Barometer an der Wand tun (vielleicht kommt doch ein Gewitter?), aber er sieht nicht hoch: Es ist ja ganz egal!
    Der Brief, das bläulichweiße, reine Rechteck auf dem fleckigen grünen Filz! Ihr Brief!
    Lässig, halb spielend greift er nach dem Papiermesser, zieht den Brief näher und legt beides wieder hin. Er wischt sich erst an der Joppe die schweißnassen Hände trocken.
    Dann nimmt er das Papiermesser, und langsam, genußreich führt er die stumpfe Spitze in die kleine Öffnung oben zwischen Deckelklappe und Umschlag ein. Seine Augen sind starr, um seine dicken Lippen spielt ein leichtes, befriedigtes Lächeln. Jawohl, er öffnet den Brief. Achtsam schiebend, hebend, stoßend, drückend, löst er die nachlässig festgeklebte Klappe. Nun sieht er schon eine Ecke vom Brief, da sind Fäserchen, die sich nicht fügen wollen, wie Härchen – aber zugleich sieht er sie, sieht er Weio, wie er sie oben gesehen hat, auf dem Liegestuhl … Sie streckt ihren Leib, ihr weißes, volles Fleisch zittert ein wenig … sie wirft die Arme hoch, und in den Achselhöhlen schimmert es hell, kräuselt sich …
    »Oh!« stöhnt Negermeier. »Oh!«
    Er hat die ganze Zeit auf den Brief gestarrt, er hat ihn dabei geöffnet – aber er war fort unterdes, fünfhundert Meter von hier, auf einem flachen, sonnenschwitzenden Pappdach – Fleisch bei Fleisch, Haut bei Haut, Haar bei Haar –: O du! Du!
    Die Welle wird flacher. Noch einmal in den Farben schönen,lebendigen Fleisches leuchtend, wie von einem Abendrot bestrahlt, verrinnt sie im Sande. Ächzend atmet Negermeier auf. Nein so was! wundert er sich nun doch. Dies Biest muß mich ganz verrückt gemacht haben! Aber die Hitze tut auch was dazu!
    Der Brief ist tadellos aufgegangen. Man braucht die Klappe nachher nicht einmal frisch zu gummieren, so nachlässig hat Fräulein Violet von Prackwitz zugeklebt. Also lesen wir … Aber vorher wischt er noch einmal die Hände an der Joppe ab, sie sind schon wieder schweißnaß.
    Dann zieht er das Blatt wirklich aus dem Umschlag, schlägt es auf. Er ist nicht sehr lang, der Brief, dafür aber hat er es in sich. Er liest:
     
    Liebster! Allerliebster!! Einziger!!! Eben bist Du erst weg, und schon bin ich wieder ganz wild nach Dir! Ich fliege am ganzen Leibe, und es summt in mir, daß ich immerzu die Augen zumachen muß! Dann sehe ich Dich! Ich habe Dich ja sooo lieb!! Papa kommt heute bestimmt nicht, und so erwarte ich Dich zwischen elf und zwölf am Teich beim Schwanenhaus. Sieh, daß die dumme Versammlung bis dahin bestimmt alle ist. Ich sehne mich schrecklich nach Dir!
    100000000 Küsse und noch viel mehr! Ich drücke Dich an mein Herz, das ganz doll klopft
Deiner
Violet.
     
    »Gott!« sagt der kleine Meier und starrt auf das Briefblatt. »Die liebt ihn wirklich: so lieb mit drei o und Deine unterstrichen. So ein kleines Pimädchen – die wird er schön reinlegen. Na, um so besser!«
    Er tippt sich den Brief auf der Schreibmaschine ab, zählt dabei sorgfältig die Nullen bei der Kußzahl. (Die reine Inflation – die

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